Ein Gespräch mit Yashwad vor wenigen Minuten veranlasst mich zu meinem nächsten Blogeintrag.
Ich betrete das Office, in der Hoffnung ins Internet zu kommen. Neben Yashwad ist keiner dort. Kurz nachdem ich mich gesetzt habe, fragt mich Yashwad ob ich krank sei. Ich bin etwas irritiert und sage „nein“. Schließlich fragt er mich ob ich mich in der Schule wohl fühle. Die Frage überrascht mich, da ich stets versucht habe daran nie geringste Zweifel aufkommen zu lassen. So ganz neben bei: Ich fühle mich hier mittlerweile sehr wohl! Ich frage Yashwad warum er mich das fragt. Er denke das, da er mich niemals mit Kindern spielen gesehen habe und deshalb gedacht habe, ich könne nicht so gut mit Kindern und würde mich eher vor ihnen zurückziehen. In diesem Moment fühle ich mich dazu gezwungen mich zurechtfertigen und erkläre ihm, dass ich mich immer, wenn ich die Bücherei führe, mit den Schülern beschäftige und vor Allem mit den Kleinen spiele. Yashwad akzeptiert diese Antwort.
Mir war diese Situation unangenehm, da ich in solchen Fragen oder Aussagen öfters eine Kritik sehe. Hier interpretierte ich die Aufforderung heraus, mich mehr mit den Kindern beschäftigen zu müssen. Vielleicht ist dies ein Alltagsproblem mit dem man sich nach einem ca. einmonatigen Aufenthalt im Projekt, beschäftigt. Doch mir ist beim Grübeln über dieses Problem etwas Anderes ins Bewusstsein gekommen. Ich glaube, dass man die Erfahrungen, die man hier sammelt, spüren kann. Einer der Gründe warum ich mich für ein solches Auslandsjahr entschieden habe, war der Wunsch durch Erfahrungen zu reifen. Nun habe ich heute zum ersten Mal in diesem Punkt bewusst ein Erfolgserlebnis wahrgenommen. Das klingt vielleicht etwas übertrieben, dennoch habe ich das Gefühl, dass ich ca. vor einem Monat das letzte Mal mein Zimmer als „Kind“ betreten habe. Das ich hier in meinen Entscheidungen und Problemen überwiegend auf mich allein gestellt bin, entwickelt in mir ein neues Bewusstsein. Dennoch werde ich ganz bestimmt nicht als vollkommener Erwachsener wiederkommen, denn das will ich auf keinen Fall. So viel erstmal zur Philosophie.
Mir kommt es vor, als wäre mein Blog sehr auf mich zugeschnitten. Ich würde eigentlich gerne viel mehr über das Land berichten, in dem ich lebe. Doch das ist schwer. Indien ohne jegliche Verallgemeinerungen zu beschreiben ist, wie ich finde, praktisch unmöglich. Indien ist, fast in jedem Teil des Lebens, so verschieden zu Deutschland. Deshalb ist es ebenfalls unmöglich das exakte Gefühl oder den Eindruck hundertprozentig zu beschreiben. Indien ist so vielseitig, was es nicht möglich macht dem Leser das Gefühl zu geben hier zu sein. Trotzdem werde ich versuchen das alltägliche Leben zu beschreiben.
Wie ihr wisst ist Mittwoch mein sogenannter Day-off, an dem ich meistens nach Dharwad fahre. Wenn ich nach Dharwad fahre, nehme ich meistens den zehn Uhr Bus von Kalkeri nach Dharwad. Da die Musikschule etwas abgelegen des Dorfes liegt, muss ich früher den Marsch zur Dorfmitte antreten. Kalkeri hat keine asphaltierten Straßen, abgesehen von den Straßen rund um den Dorfplatz. Auf dem Weg zum Dorf laufe ich an Reisfeldern und Palmen vorbei und ein kleines Stück durch den Dschungel, bis die ersten kleinen Häuser in Sicht kommen. Der Weg ist vor Allem in der Monsunzeit sehr schlammig und durchsetzt mit Kuhmist. Jedoch wenn einmal die Sonne scheint, dann wird es schnell sehr warm und der Schlamm trocknet sehr schnell. Beim Betreten des Dorfes läuft man meist streunenden Hunden und vielen Kindern über den Weg. Oft knurren die Hunde einen an, doch bisher haben sie noch nicht versucht mich zu beißen. Die Kinder spielen meist und die Erwachsenen gehen ihrer Arbeit nach. Das Spiel, was hier von den Kindern gespielt wird ist eine Art Fangspiel im Team. Viel mehr wird hier auch nicht gespielt, da einfach das Geld fehlt.
Es scheint noch auf dem Land eine gewisse Rollenverteilung zu geben. Wenn ich das Dorf durchlaufe, sehe ich sehr oft die Frauen draußen Wäsche waschen und die Männer auf den Feldern arbeiten. An den sehr kleinen Bauernhütten grenzt meistens direkt der Stall an, wo überwiegend Kühe und Hühner leben. Beim Laufen wird man des Öfteren begeistert von den Kindern angesprochen und (vermutlich wegen der weißen Haut) an den Armen und Händen berührt. Von den Erwachsenen wird man stets gegrüßt. Die Häuser sind bunt gestrichen bzw. bemalt, was in der Natur jedoch recht harmonisch wirkt. Das kaum vorhandene Englisch der Bewohner ist für mich meistens schwer verständlich und ich muss ein oder zweimal nachfragen, was ich gefragt wurde. In der Luft liegt ein Geruch von Kuhmist, Stroh, Essen bzw. Gewürzen und Blumen. In dem Dorf selbst gibt es: Eine Bushaltestelle, die angeblich erst seit der Eröffnung der Schule angefahren wird, einen Schneider, der nur dann wenn er will öffnet und schneidert, ein Postoffice, das wie der Schneider nur dann öffnet, wenn es Lust dazu hat, sowie zwei bis drei kleine Läden, die allesamt an dem Dorfplatz liegen, wo es eine kleine Bühne gibt, die an Festtagen genutzt wird. Die Läden verkaufen Dinge wie Bananen, Sweets oder Limonade.
Der Bus, der mich nach Dharwad bringt, hält direkt auf dem kleinen Dorfplatz. Auf der Linie fahren zwei Busse. Beide sind sehr rustikal, dennoch erkennt man nach einiger Zeit einen wichtigen Unterschied: Bei dem „guten“ Bus funktionieren die Stoßdämpfer, bei dem „Schlechten“ nicht. Wenn man nun in den Bus einsteigt, muss man vor Allem in Dharwad um einen Sitzplatz kämpfen. Es ist ganz normal, dass man noch, während der Bus fährt, in ihn einsteigt. Man kann sich auch einen oder mehrere Plätze reservieren, indem man, während der Bus einparkt, ein Kleidungsstück oder eine Tasche durch das Fenster des Busses auf die Sitzreihe schleudert. Logischerweise wartet man auch nicht darauf, dass zuerst die Menschen im Bus aussteigen. Es entsteht also ein großes Chaos. Es ist sehr darauf zu achten, wo man im Bus sitzt. Die besten Plätze sind in der Mitte zu finden, da man Vorne und besonders Hinten öfters hoch katapultiert wird, wenn der Bus überwiegend ungebremst über einen Buckel fährt, der eigentlich dazu gedacht ist, die Geschwindigkeit zu verringern. Aber nicht nur aufgrund der Buckel lohnt es sich in dem „guten“ Bus möglichst in der Mitte zu sitzen, sondern auch, da sich die Straßen nach Dharwad allgemein in einem sehr schlechten Zustand befinden. Sehr große Schlaglöcher und überwiegend nichtasphaltierte Straßen lassen einen kräftig durchschütteln. Im Bus selbst arbeiten zwei Leute. Der Busfahrer und der Fahrkartenverkäufer. Kurz nachdem der Bus losgefahren ist, beginnt der Fahrkartenverkäufer damit was er am besten kann: Richtig, Fahrkarten verkaufen! Er geht systematisch vor. Es wird von Vorne nach Hinten verkauft. Eine Fahrkarte kostet zwölf Rupien, was umgerechnet ca. zwanzig Cent sind. Es ist gut, wenn man die zwölf Rupien passend hat, da der Fahrkartenverkäufer oft nicht in der Lage ist das Geld zu wechseln, sodass man das Wechselgeld erst später während der Busfahrt zurück bekommt. Manchmal vergisst der Kontrolleur das auch gerne mal.
Der Busfahrt ist soweit nicht mehr viel hinzuzufügen, außer das sie auf Dauer sehr einschläfernd ist. Obwohl man so durchgeschüttelt wird! Man macht also öfters die Augen zu, wenn nicht gerade kleine Schulkinder neben einen sitzen, die nicht aufhören können zu fragen, wo man denn her komme. Ansonsten blickt man aus dem Fenster und sieht die wunderschöne Landschaft aus Reis-, Kokosnuss- und Bananenplantagen, durchsetzt von sanft geschwungenen Hügeln und Palmen. Manchmal passiert man auch einen blau glitzernden Fluss oder See, in dem die Kühe baden und manche Bewohner, der umliegenden Dörfer, ihre Kleider waschen.
Dharwad hat zwei Busbahnhöfe. „The New Busstation“ und „The Old Busstation“. Letzterer wird stets von dem Bus aus Kalkeri angefahren. Von dort aus sind Markt und die, für uns Freiwilligen, interessantesten Geschäfte erreichbar. Der Busbahnhof ist immer überfüllt mit Bussen. Es ist laut und sehr dreckig. Überall streunen Hunde herum und die Gebäude sind zwar aus Stein erbaut, dennoch machen sie eher einen rustikalen Eindruck. Des Öfteren wird man auch von umherlaufenden Händlern angesprochen, die versuchen ihre minderwertige Wahre zu verkaufen. Was nicht vergessen werden darf, sind die vielen bettelnden kleinen Kinder, die man von sich weisen muss.
Auf dem Markt kaufe ich überwiegend Früchte ein, die allesamt einen super Snack darstellen. Was man hier auf jeden Fall lernt, ist das Verhandeln. Alles andere kaufe ich in einem Supermarkt, in dem eigentlich nur die wohlhabenden Leute einkaufen können, bis auf Nutella, was ich in einem Laden kaufe, der auch viele andere westliche Produkte verkauft. Öfters esse ich dann auch in Dharwad in einem der Hotels zu Mittag.
So viel erstmal zu meinem Day-off.
Es tut mir Leid, dass dieser Eintrag, für meine Verhältnisse, recht spät kommt. Aber da ich ungefähr eine Woche lang krank war, musste ich eine kleine Schreibpause einlegen. Für Interessierte: Ich hatte Halsschmerzen und etwas Fieber.
Die Regenzeit scheint nun zu Ende zu sein. Wir haben seit über zwei Wochen überwiegend einen blauen Himmel und viel Sonne. In der Nacht wird es kalt, da es meist wolkenklar ist. Man wird aber mit einem berauschenden Sternenhimmel entschädigt. Tagsüber klettern die Temperatur schon mal auf 30°C, zumindest in der Sonne. Diese Jahreszeit wird „Coldseason“ genannt und soll die schönste aller Jahreszeiten sein, da es noch relativ kühl ist und das Wetter sehr schön ist.
In ungefähr zwei Wochen beginnen hier die Ferien, die vier Wochen andauern. Ich werde mir zwei Wochen Urlaub nehmen und in dieser Zeit nach Gokarn, Goa und Hampi reisen. Gokarn und Goa sollen mit anderen Ländern die schönsten Strände der Welt haben. Hampi hingegen ist wegen seiner riesigen Tempelanlagen und Paläste, die in der Zeit erbaut wurden, als Hampi noch die Hauptstadt eines sehr wohlhabenden indischen Reiches war. Ich werde zusammen mit Freunden diese Reise antreten, darunter auch Paul und Frederik.
Ich habe in der Zwischenzeit begonnen Hindi zu lernen. Da die Sprache ein anderes Alphabet besitzt, ist aller Anfang schwer. Es macht aber großen Spaß. Hindi werde ich nicht nur alleine lernen, sondern auch mit den anderen Freiwilligen in einer Klasse, die von dem Engländer Woods unterrichtet wird, der hier schon über viele Jahre lebt und auch hier in der Musikschule lebt. Neben Hindi werde ich auch ein neues Instrument lernen: Sitar. An meinen freien Zeiten werde ich nach Dharwad fahren und dort von einem berühmten Sitarspieler unterrichtet werden. Dieser soll auch schon Konzerte in Deutschland, Frankreich, Spanien und in den USA gegeben haben. Seinen Namen habe ich noch nie zuvor gehört und kann mich jetzt auch nicht an ihn erinnern.
Ich hoffe, euch daheim geht es gut. Nebenbei wünsche ich euch wunderschöne Herbsttage, was mir allerdings schwer fällt zu realisieren, da das Wetter hier jeden Gedanken an Herbst verdrängt.
Viele Grüße aus Indien!
Julius
PS: Bilder folgen mal wieder.