Montag, 19. Januar 2015

Nun, was bleibt...

Jetzt ist es schon drei Jahre und zwei Tage her, dass ich eines Abends auf der Terasse des Volunteers House saß und bei Kerzenschein ein Gedicht niederschrieb, um es auf meinem Blog über Indien zu veröffentlichen. Nun stelle ich mir selbst die Frage, wie kommt ein 20-jähriger dazu aus freien Stücken ein Gedicht zu schreiben? Wieviele in meinem Alter setzten sich heute noch hin und schreiben ein solches Gedicht, das Einblick in eine Gefühlswelt gewährt, die zur Zeit in Indien von diversen Eindrücken berauscht war? Wir jungen Menschen in Deutschland, die durch Smartphone, Fernseher und Co. unseren Geist verkommen lassen und Kreativität und Freiheitsgeist über den "Gefällt mir" Button dem Abfall übergeben? Wer von uns schreibt noch, interessiert sich noch?


Mittags auf der Terrasse

In meinem letzten Eintrag versprach ich noch ein paar abschließende Worte für meinen Blog zu finden. Nun, abschließende Worte wird es glaube ich nie für mich geben. Indien lebt auch Jahre später in mir weiter und es vergeht kein Tag an dem ich nicht an mein Abenteuer zurückdenke. Ich vermisse Indien, vermisse die Zeit, die mir vergönnt war. Natürlich geht das Leben weiter. Man landet in Deutschland und gewöhnt sich erschreckend schnell wieder an das Leben hier. Manchmal kommt es mir so vor, als habe jemand kurz die Pausentaste auf der Fernbedienung gedrückt, um nach einem Jahr wieder mit Play fortzufahren. Doch in meinem Inneren weiß ich, dass dem nicht so ist. Ein Teil von mir lebt auch heute noch in Indien weiter. Ich hatte auch ein halbes Jahr später immer noch Schwierigkeiten meinen Lebensweg hier in Deutschland zu akzeptieren. Wenn ich genau darüber nachdenke, dann habe ich es heute noch. Indien ist mir vertraut geworden. Deutschland wird mir immer fremder.

Abendstimmung
Wenn ich mir heute meine Einträge von damals durchlese, dann muss ich manchmal schmunzeln. Manches war vielleicht etwas übertrieben geschildert, allerdings spiegelt sich darin aber auch die Bedeutung meines Freiwilligen Sozialen Jahres wieder. Die Eindrücke, die damals auf mich wirkten, waren so bezaubernd, wie ich es mir nie hätte vorstellen können. Rückblickend hat mich das Jahr in Indien auf eine Weise verändert, wie es sonst kein anderes Ereignis hätte bewerkstelligen können. Nach Indien zu gehen, diesen Schritt zu wagen, war die wichtigste Entscheidung, die ich in meinem Leben bisher getroffen habe. Ich bin mit gewissen Wertevorstellungen gegangen und mit vollkommen anderen heimgekehrt.

Und heute? Ich habe noch Kontakte nach Indien und zu manchen ehemaligen Mitfreiwilligen. Über Bilder sehe ich, wie die Kinder älter werden und neue Gesichter hinzukommen. Praveen kommt bald in die neunte Klasse! Seine Schulnoten sind unverändert super! Das Projekt selbst verändert sich ebenfalls stetig. Freiwillige kommen und gehen. Manchmal stelle ich mir vor, wie es wohl wäre, wenn ich plötzlich auf dem "Playground" stände, mit einem Rucksack auf dem Rücken und einem Tuch über dem Kopf, um mich vor der heißen Sonne zu schützen... Wer würde mich außer Praveen noch wiedererkennen? Wie sehr hat sich das Projekt verändert? Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich Kalkeri nicht so anfühlen würde wie damals. Diese Zeit wird nie wiederkehren. Wenn ich manchmal traurig bin, dann wünschte ich die Zeit zurückdrehen zu können und mich wieder bei Kerzenschein mit meinen Mitfreiwilligen auf der Terasse des Volunteers House wiederzufinden. Wir lebten in einer anderen Welt, die keiner in Deutschland sich vorstellen konnte. Leider kann man nicht ewig in der Vergangenheit leben. Dennoch geben mir die Erinnerungen an Indien Kraft und Selbstvertrauen, immer dann, wenn ich zweifle.

Als ich gegangen bin, fragten mich die Kinder, wann ich wiederkommen würde. Auch heute weiß ich nicht, wann ich Kalkeri wiedersehen werde. Aber es steht für mich heute noch fest, dass ich wiederkommen werde. Vielleicht füge ich diesem Blog dann auch wieder ein paar Zeilen hinzu, wie ich es heute, zweieinhalb Jahre später, getan habe.

Julius