Ich weiß nicht was ich schreiben soll. Eigentlich will
ich, mit diesem vielleicht letzten Eintrag, reflektieren. Ich weiß, dass ich
nun kurz vor dem Ende meiner langen Reise stehe, dass ich viel erlebt und
gelernt habe. Wenn ich auf all das Erlebte zurück blicke, dann kann ich mich
oft noch an viele Einzelheiten erinnern, ob das nun ein Jahr zurück liegt oder
nicht. Das Problem ist: Es ist einfach alles so viel!
Ich habe schon in den Einträgen zuvor geschrieben, dass
ich glaube, mich verändert zu haben. Ich habe auf meiner Reise viele Menschen
getroffen, die mir alle etwas gegeben haben. Wenn man reist, dann trifft man
Personen aus den verschiedensten Umfeldern, die einem am Anfang vielleicht
komisch erscheinen, später jedoch viele Gemeinsamkeiten zeigen. Man lernt den
ersten Eindruck fallen zu lassen und man wird mutig. Man will mehr erfahren.
Etwas ganz Besonderes ist, dass man aus seiner Rolle schlüpfen kann und seine
Erscheinung wieder frei wählen kann. Zuhause ist das weniger möglich. Eine
Frage, die ich mir stelle ist: Werde ich wieder meine alte Rolle Zuhause
einnehmen oder habe ich mich dafür zu stark verändert? Ich glaube mir selbst
wird das weniger auffallen. Das Erste, was mir, auf meiner Reise, selbst
aufgefallen war, war meine eigene Offenheit Fremden gegenüber. Zugegebenermaßen
hatte ich ja auch keine andere Wahl! Das Schlimmste, was einem bei einer
solchen Reise passieren kann ist: Alleine zu sein. Ich selbst habe gemerkt, wie
wichtig für mich die anderen Freiwilligen waren, zu denen man schnell eine
Freundschaft aufbaut. Die Abende zusammen mit den anderen Freiwilligen aus
Frankreich, Kanada, England oder Deutschland waren mir immer sehr wichtig, was
ich früher vielleicht nur unterbewusst wahrgenommen habe. Besonders zu Lea,
Nils und Paul habe ich ein besonderes Verhältnis. Sie waren die erste WG, in
der ich jemals gewohnt habe und zu ihnen hatte und werde ich hoffentlich auch
zukünftig noch eine sehr enge Freundschaft haben. Es war wirklich etwas
Besonderes. Man braucht Menschen, denen man vertrauen kann und die einen
verstehen. Ich bin froh, dass ich diese Menschen zu Hause, sowie auch hier in
Indien gefunden habe. Ich freue mich auch all diese Menschen kennengelernt zu
haben. Nicht nur weil ich dann auf zukünftigen Reisen eine kostenlose
Unterkunft haben werde, sondern auch weil es mir ermöglicht war, einen Einblick
in ihr Leben zu erhaschen. Was wusste ich früher über den Alltag eines
Franzosen, wenn ich nur nach Fontainebleau gefahren bin, um dort klettern zu
gehen?! Ich glaube im Ganzen, war es unheimlich wichtig, dass ich diese Reise
alleine gemacht habe.
Indien war das Land, wohin ich letztendlich gereist bin.
Wenn ich zurück blicke, dann hätte die Entscheidung nicht besser sein können.
Es war und ist unbeschreiblich! Wo fange ich bei Indien an?? Mit den Menschen?
Mit der Natur? Mit meinem Projekt, der eigentliche Grund meiner Reise? Zu jedem
dieser drei Bereiche könnte ich mehrere Bücher schreiben und selbst die könnten
nicht meine Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke richtig darstellen, wie sich
Indien anfühlt, riecht oder lebt. Aber letztendlich ist das vielleicht auch gar
nicht wichtig. Indien gab mir mehr, als ich seinen Kindern jemals geben könnte,
aber auch das ist okay. Bei der Arbeit in meinem Projekt weiß ich, dass ich
mein Bestes gegeben habe und dass ich meine Spuren hier hinterlassen habe. Ich
bin überzeugt, dass meine Arbeit wichtig war und dass ich wirklich sagen
kann:“mission complete!“ Mein Projekt war wie ein Zuhause für mich und wird es
auch immer bleiben. Die Menschen, die hier leben, sind mir wichtig und vertraut.
Besonders zu den Kindern hat man ein Verhältnis, das sich mit Freundschaft oder
teils enger Freundschaft beschreiben lässt. Die Arbeit mit den Kindern war toll
und bereichernd. Ich denke, die meisten Dinge habe ich von ihnen gelernt. Am
Anfang hatte ich geschrieben, dass ich erwarte erwachsener zu werden. Ich
glaube, dass bin ich auch geworden, allerdings hatte ich auch noch mal die
Chance ein letztes Mal Kind zu sein, was auch sehr wichtig war. Wenn ich nun
wieder nach Hause gehe, dann könnte der Lebensweg der Kinder und meiner
unterschiedlicher nicht sein. Ich beginne mit dem Studium, lebe wieder im
alltäglichem Luxus, und die Kinder? Sie werden hier weiter in Schlammhütten
leben, früh morgens singen und musizieren, dann den normalen Schulalltag
genießen (die/der ein oder andere vielleicht nicht ganz so). Ich glaube auch,
dass ich die Menschen und Kultur nun gut verstehe. Im zweiten Halbjahr war ich
an viele Dinge einfach schon gewöhnt, sodass sie mir als völlig normal
vorkamen. Ich denke, auch deshalb schien das zweite Halbjahr so schnell zu
vergehen.
Wie man so schön sagt: Man geht mit einem lachenden und
einem weinenden Auge. Zum einen ist da die Freude auf Freunde und Familie. Auch
freue ich mich natürlich auf den alten Luxus und das ich nun mit Ausbildung und
Studium beginnen werde. Einfach die Tatsache, dass ich wieder in einem festen,
trocken, sauberen und nicht verflohten oder verlausten Haus leben werde, bei
dem nicht sofort alle Wände einstürzen, wenn es mal etwas regnet. Auch die
Diebstähle der Affen werde ich nicht großartig vermissen. Ich freue mich auf
GUTE Marmelade, GUTES Brot mit GUTEM Käse oder einfach mal mit Salami! Eine
warme Dusche, wenn ich auf eine Eiskalte mal keine Lust haben sollte. Wieder
einen Computer zu besitzen wird auch recht angenehm sein oder nicht mehr auf
dem Boden, sondern in einem richtigen Bett schlafen zu können, dürfte himmlisch
werden! Auch Anziehsachen zu tragen, die nicht voller Löcher, Risse oder ein
bisschen Schimmel (nur im Monsun) sind, wird den Tragekomfort wesentlich
steigern. Ich muss auch zugeben, etwas Ruhe vor Kindern zu haben wird angenehm
sein. In Dharwad nicht immer erklären zu müssen, wo man her kommt und wie man
heißt, bloß weil man weiß ist, ist auch schön. Einfach mal wieder einer von
vielen zu sein. Ein ruhiger Verkehr mit System! Keine überfüllten Busse oder
Züge. Nicht mehr reich sein! Keine Darmkrämpfe mehr. Keine dreißig
Mosquitostiche mehr an einem Abend. Keine Schlangen, Skorpione oder Kakerlaken
oder sonst irgendwelches Getier mehr in seinem Zimmer. Keine Milliarden
Ameisen, die einem über das Bett krabbeln. Kein Toast mehr auf der Bratpfanne
machen zu müssen wird definitiv Zeit sparend sein. Zu jeder Zeit Strom haben
und nicht mehr Trinkwasser zur Hütte hinauf schleppen zu müssen, lässt mich
hoffentlich nicht faul werden. Mal wieder ins Kino oder in die Bar. UND
KLETTERN!! Etc….
Auf der anderen Seite: Nicht mehr im Bus sitzen und
denken: „Was für eine Landschaft!“ Keine Traumstrände in Gokarna mehr. Nicht
mehr Bouldern gehen in Hampi. Nicht mehr ganz so viele herzliche Menschen. Kein
Plätschern der Regentropfen auf den Dachplatten. Kein indischer Gesang mehr
beim Aufwachen. Keine Dschungelgeräusche mehr. Keine Affen. Keine Dusche im
Freien. Kein Verhandeln mehr beim Einkaufen. Keine farbenfrohen Kleider mehr.
Keine Coke mehr, aus einer eisgekühlten Glasflasche, für zwanzig Rupien. Usw….
Nachdem ich nun Vor- und Nachteile Revue passieren lassen
habe, kann ich sagen: Es ist okay, dass ich jetzt gehe. In Deutschland warten
neue Herausforderungen und neue Projekte. Ich fühle, dass ich nun auch wirklich
am Ende angekommen bin. Es wird sicherlich dennoch nicht einfach sein, die
letzten Meter vom Volunteershaus hinab zu laufen und sich von den Kindern zu
verabschieden, dann in das Schulauto zu steigen und davon zu fahren, ohne
zurück zu kehren.
Ich denke, Reflexion ist etwas, worüber man nicht
schreiben kann. Reflexion wird noch Jahre später stattfinden und das nur in
Gefühlen und Empfindungen. Zu sagen, „Dieses Jahr im Ausland hat mich stark
geprägt“, ist definitiv wahr, allerdings beschreibt es nicht die Bedeutung. Ich
glaube, den gesamten Wert und die Bedeutung meiner damaligen Entscheidung,
werde ich erst in ein paar Jahren richtig einschätzen oder erkennen können.
Ich bin wirklich gespannt auf Deutschland und darauf, wie
es nun weiter geht. Ich habe noch keine großen Erwartungen wie sich mein
Zuhause oder mein Umfeld verändert haben könnte. Auch das ist ein kleiner Teil
meiner Vorfreude.
Die letzten Tage im Projekt werde ich noch arbeiten. In
den Klassen zeige ich Filme, wie „Ice Age“ oder „Charlie and the chocolate factory“.
Bei meinem letzten Besuch in Dharwad werde ich noch Süßigkeiten für die Klassen
besorgen und meinem Sitarlehrer „auf Wiedersehen“ sagen. Donnerstag und Freitag
wird gepackt. Freitagabend wird der Moment dann schließlich kommen, wo sich die
Wege trennen werden. Noch ein kleiner Snack im tibetischen Restaurant „Momos“
und dann geht’s zum Bahnhof, auf nach Bangalore. In Bangalore genießen wir
nochmal günstiges Essen und einen schönen Abend in einer Bar. Am Montag um ca.
sieben Uhr indischer Ortszeit, werden wir dann Indien verlassen.
Nun am Schluss meines Blogeintrages, habe ich also
glücklicher Weise doch noch ein paar Zeilen zusammen bekommen. Vielleicht wird
noch ein Eintrag in Deutschland folgen, wo ich dann möglicherweise noch den
einen oder anderen Aspekt hinzufügen kann.
Soweit war es das nun aus Indien. Ich hoffe, ich konnte euch mit meinem
Berichten eine Freude machen. Ich hoffe auch, dass ich euch einen kleinen
Eindruck von dem Leben, was ich hier gefuehrt habe, uebermitteln konnte. Denen,
die meinen Blog gelesen haben, danke ich auch sehr, da ich so, bei Problemen
oder besonderen Ereignissen, meinen Gedanken und Gefuehle von der Seele
schreiben konnte und diese auf offene Ohren gestossen sind. Ich wünsche euch
alles Gute und wir sehen uns bald!
Ein letztes Mal aus Indien!
Julius