Mittwoch, 25. Juli 2012

Wolken des Abschiedes und von Zuhause nach Zuhause


Ich weiß nicht was ich schreiben soll. Eigentlich will ich, mit diesem vielleicht letzten Eintrag, reflektieren. Ich weiß, dass ich nun kurz vor dem Ende meiner langen Reise stehe, dass ich viel erlebt und gelernt habe. Wenn ich auf all das Erlebte zurück blicke, dann kann ich mich oft noch an viele Einzelheiten erinnern, ob das nun ein Jahr zurück liegt oder nicht. Das Problem ist: Es ist einfach alles so viel!
Ich habe schon in den Einträgen zuvor geschrieben, dass ich glaube, mich verändert zu haben. Ich habe auf meiner Reise viele Menschen getroffen, die mir alle etwas gegeben haben. Wenn man reist, dann trifft man Personen aus den verschiedensten Umfeldern, die einem am Anfang vielleicht komisch erscheinen, später jedoch viele Gemeinsamkeiten zeigen. Man lernt den ersten Eindruck fallen zu lassen und man wird mutig. Man will mehr erfahren. Etwas ganz Besonderes ist, dass man aus seiner Rolle schlüpfen kann und seine Erscheinung wieder frei wählen kann. Zuhause ist das weniger möglich. Eine Frage, die ich mir stelle ist: Werde ich wieder meine alte Rolle Zuhause einnehmen oder habe ich mich dafür zu stark verändert? Ich glaube mir selbst wird das weniger auffallen. Das Erste, was mir, auf meiner Reise, selbst aufgefallen war, war meine eigene Offenheit Fremden gegenüber. Zugegebenermaßen hatte ich ja auch keine andere Wahl! Das Schlimmste, was einem bei einer solchen Reise passieren kann ist: Alleine zu sein. Ich selbst habe gemerkt, wie wichtig für mich die anderen Freiwilligen waren, zu denen man schnell eine Freundschaft aufbaut. Die Abende zusammen mit den anderen Freiwilligen aus Frankreich, Kanada, England oder Deutschland waren mir immer sehr wichtig, was ich früher vielleicht nur unterbewusst wahrgenommen habe. Besonders zu Lea, Nils und Paul habe ich ein besonderes Verhältnis. Sie waren die erste WG, in der ich jemals gewohnt habe und zu ihnen hatte und werde ich hoffentlich auch zukünftig noch eine sehr enge Freundschaft haben. Es war wirklich etwas Besonderes. Man braucht Menschen, denen man vertrauen kann und die einen verstehen. Ich bin froh, dass ich diese Menschen zu Hause, sowie auch hier in Indien gefunden habe. Ich freue mich auch all diese Menschen kennengelernt zu haben. Nicht nur weil ich dann auf zukünftigen Reisen eine kostenlose Unterkunft haben werde, sondern auch weil es mir ermöglicht war, einen Einblick in ihr Leben zu erhaschen. Was wusste ich früher über den Alltag eines Franzosen, wenn ich nur nach Fontainebleau gefahren bin, um dort klettern zu gehen?! Ich glaube im Ganzen, war es unheimlich wichtig, dass ich diese Reise alleine gemacht habe.
Indien war das Land, wohin ich letztendlich gereist bin. Wenn ich zurück blicke, dann hätte die Entscheidung nicht besser sein können. Es war und ist unbeschreiblich! Wo fange ich bei Indien an?? Mit den Menschen? Mit der Natur? Mit meinem Projekt, der eigentliche Grund meiner Reise? Zu jedem dieser drei Bereiche könnte ich mehrere Bücher schreiben und selbst die könnten nicht meine Erlebnisse, Erfahrungen und Eindrücke richtig darstellen, wie sich Indien anfühlt, riecht oder lebt. Aber letztendlich ist das vielleicht auch gar nicht wichtig. Indien gab mir mehr, als ich seinen Kindern jemals geben könnte, aber auch das ist okay. Bei der Arbeit in meinem Projekt weiß ich, dass ich mein Bestes gegeben habe und dass ich meine Spuren hier hinterlassen habe. Ich bin überzeugt, dass meine Arbeit wichtig war und dass ich wirklich sagen kann:“mission complete!“ Mein Projekt war wie ein Zuhause für mich und wird es auch immer bleiben. Die Menschen, die hier leben, sind mir wichtig und vertraut. Besonders zu den Kindern hat man ein Verhältnis, das sich mit Freundschaft oder teils enger Freundschaft beschreiben lässt. Die Arbeit mit den Kindern war toll und bereichernd. Ich denke, die meisten Dinge habe ich von ihnen gelernt. Am Anfang hatte ich geschrieben, dass ich erwarte erwachsener zu werden. Ich glaube, dass bin ich auch geworden, allerdings hatte ich auch noch mal die Chance ein letztes Mal Kind zu sein, was auch sehr wichtig war. Wenn ich nun wieder nach Hause gehe, dann könnte der Lebensweg der Kinder und meiner unterschiedlicher nicht sein. Ich beginne mit dem Studium, lebe wieder im alltäglichem Luxus, und die Kinder? Sie werden hier weiter in Schlammhütten leben, früh morgens singen und musizieren, dann den normalen Schulalltag genießen (die/der ein oder andere vielleicht nicht ganz so). Ich glaube auch, dass ich die Menschen und Kultur nun gut verstehe. Im zweiten Halbjahr war ich an viele Dinge einfach schon gewöhnt, sodass sie mir als völlig normal vorkamen. Ich denke, auch deshalb schien das zweite Halbjahr so schnell zu vergehen.
Wie man so schön sagt: Man geht mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Zum einen ist da die Freude auf Freunde und Familie. Auch freue ich mich natürlich auf den alten Luxus und das ich nun mit Ausbildung und Studium beginnen werde. Einfach die Tatsache, dass ich wieder in einem festen, trocken, sauberen und nicht verflohten oder verlausten Haus leben werde, bei dem nicht sofort alle Wände einstürzen, wenn es mal etwas regnet. Auch die Diebstähle der Affen werde ich nicht großartig vermissen. Ich freue mich auf GUTE Marmelade, GUTES Brot mit GUTEM Käse oder einfach mal mit Salami! Eine warme Dusche, wenn ich auf eine Eiskalte mal keine Lust haben sollte. Wieder einen Computer zu besitzen wird auch recht angenehm sein oder nicht mehr auf dem Boden, sondern in einem richtigen Bett schlafen zu können, dürfte himmlisch werden! Auch Anziehsachen zu tragen, die nicht voller Löcher, Risse oder ein bisschen Schimmel (nur im Monsun) sind, wird den Tragekomfort wesentlich steigern. Ich muss auch zugeben, etwas Ruhe vor Kindern zu haben wird angenehm sein. In Dharwad nicht immer erklären zu müssen, wo man her kommt und wie man heißt, bloß weil man weiß ist, ist auch schön. Einfach mal wieder einer von vielen zu sein. Ein ruhiger Verkehr mit System! Keine überfüllten Busse oder Züge. Nicht mehr reich sein! Keine Darmkrämpfe mehr. Keine dreißig Mosquitostiche mehr an einem Abend. Keine Schlangen, Skorpione oder Kakerlaken oder sonst irgendwelches Getier mehr in seinem Zimmer. Keine Milliarden Ameisen, die einem über das Bett krabbeln. Kein Toast mehr auf der Bratpfanne machen zu müssen wird definitiv Zeit sparend sein. Zu jeder Zeit Strom haben und nicht mehr Trinkwasser zur Hütte hinauf schleppen zu müssen, lässt mich hoffentlich nicht faul werden. Mal wieder ins Kino oder in die Bar. UND KLETTERN!! Etc….
Auf der anderen Seite: Nicht mehr im Bus sitzen und denken: „Was für eine Landschaft!“ Keine Traumstrände in Gokarna mehr. Nicht mehr Bouldern gehen in Hampi. Nicht mehr ganz so viele herzliche Menschen. Kein Plätschern der Regentropfen auf den Dachplatten. Kein indischer Gesang mehr beim Aufwachen. Keine Dschungelgeräusche mehr. Keine Affen. Keine Dusche im Freien. Kein Verhandeln mehr beim Einkaufen. Keine farbenfrohen Kleider mehr. Keine Coke mehr, aus einer eisgekühlten Glasflasche, für zwanzig Rupien. Usw….
Nachdem ich nun Vor- und Nachteile Revue passieren lassen habe, kann ich sagen: Es ist okay, dass ich jetzt gehe. In Deutschland warten neue Herausforderungen und neue Projekte. Ich fühle, dass ich nun auch wirklich am Ende angekommen bin. Es wird sicherlich dennoch nicht einfach sein, die letzten Meter vom Volunteershaus hinab zu laufen und sich von den Kindern zu verabschieden, dann in das Schulauto zu steigen und davon zu fahren, ohne zurück zu kehren.
Ich denke, Reflexion ist etwas, worüber man nicht schreiben kann. Reflexion wird noch Jahre später stattfinden und das nur in Gefühlen und Empfindungen. Zu sagen, „Dieses Jahr im Ausland hat mich stark geprägt“, ist definitiv wahr, allerdings beschreibt es nicht die Bedeutung. Ich glaube, den gesamten Wert und die Bedeutung meiner damaligen Entscheidung, werde ich erst in ein paar Jahren richtig einschätzen oder erkennen können.
Ich bin wirklich gespannt auf Deutschland und darauf, wie es nun weiter geht. Ich habe noch keine großen Erwartungen wie sich mein Zuhause oder mein Umfeld verändert haben könnte. Auch das ist ein kleiner Teil meiner Vorfreude.
Die letzten Tage im Projekt werde ich noch arbeiten. In den Klassen zeige ich Filme, wie „Ice Age“ oder „Charlie and the chocolate factory“. Bei meinem letzten Besuch in Dharwad werde ich noch Süßigkeiten für die Klassen besorgen und meinem Sitarlehrer „auf Wiedersehen“ sagen. Donnerstag und Freitag wird gepackt. Freitagabend wird der Moment dann schließlich kommen, wo sich die Wege trennen werden. Noch ein kleiner Snack im tibetischen Restaurant „Momos“ und dann geht’s zum Bahnhof, auf nach Bangalore. In Bangalore genießen wir nochmal günstiges Essen und einen schönen Abend in einer Bar. Am Montag um ca. sieben Uhr indischer Ortszeit, werden wir dann Indien verlassen.
Nun am Schluss meines Blogeintrages, habe ich also glücklicher Weise doch noch ein paar Zeilen zusammen bekommen. Vielleicht wird noch ein Eintrag in Deutschland folgen, wo ich dann möglicherweise noch den einen oder anderen Aspekt hinzufügen kann.
Soweit war es das nun aus Indien. Ich hoffe, ich konnte euch mit meinem Berichten eine Freude machen. Ich hoffe auch, dass ich euch einen kleinen Eindruck von dem Leben, was ich hier gefuehrt habe, uebermitteln konnte. Denen, die meinen Blog gelesen haben, danke ich auch sehr, da ich so, bei Problemen oder besonderen Ereignissen, meinen Gedanken und Gefuehle von der Seele schreiben konnte und diese auf offene Ohren gestossen sind. Ich wünsche euch alles Gute und wir sehen uns bald!
Ein letztes Mal aus Indien!

Julius