Samstag, 31. Dezember 2011

Frohes Neues Jahr!


Vor einem Jahr sagte man zu mir: "Das Jahr 2011 wird ja sehr ereignisreich fuer dich werden!" Zurueckblickend stimme ich dem voll und ganz zu!
Ansonsten fasse ich mich kurz: Das indische Silvester ist alles andere als langweilig! Fuer Munition ist gesorgt! Die Kanonen und der Feuermeister namens Julius liegen in den Startloechern! Die indischen Trommeln singen! Der Countdown laeuft fuer ein, hoffentlich, erfolgreiches Jahr!
Ein frohes neues Jahr euch Allen und alles Gute!

Julius

Montag, 26. Dezember 2011

Wir bleiben stumm

Zur Begrüßung führt man die Hände an der Brust aneinander. “Namasté!“
“Where are you from? “
“I come from Germany. “
“Hah, Germany.” Man hat keine Ahnung, wo es liegt.
“What is your name?”
“My name is Julius.”
“Are you marriage?”
“No, I’m not.”
“How old are you?”
“Twenty.”
“What? Twenty? You are so young?”
Ja, ich bin zwanzig. Bin ich immer noch jung? Meine Kindheit ist vorbei. Dennoch kann ich glücklich sein, dass ich in Deutschland groß geworden bin. Es lässt sich wirklich sagen, dass ich sorglos aufgewachsen bin. Hier in Kalkeri verläuft die Kindheit ganz anders. In der Schulzeit lebt man in der Schule. Man isst jeden Tag Reis und freut sich, wenn es Besonderheiten wie Kartoffeln, Brot und Eier gibt. Man steht um halb fünf auf und beginnt mit seinem Instrument zu üben. Nach dem Frühstück folgt der Unterricht, der bis zwanzig vor fünf geht. Danach hat man neunzig Minuten frei. Anschließend werden die Hausaufgaben gemacht, man isst zu Abend, guckt manchmal noch einen Film in der Yogahall und geht schließlich schlafen. Dies ist der Tagesablauf eines Kindes von Montag bis Samstag. Der einzig freie Tag ist Sonntag. In den Ferien fährt man nach Hause zu seinen Familien, was nicht bedeutet, dass man frei hat. Es wird gearbeitet. Viele Eltern der Kinder betreiben eine Farm und dort muss täglich ausgeholfen werden. Oft sind die Kinder froh, wenn sie wieder in die Schule dürfen.
Nun die deutsche Version: Der Wecker klingelt um zehn nach sechs, manchmal auch um neun oder zehn. Man geht ins saubere Badezimmer und kommt sauber heraus. Der Frühstückstisch ist gedeckt mit Toastbrot, Brötchen, Croissants, Marmeladen, Honig, Nutella, Kaffe, Kakao, Milch, Salami, Käse und nicht zu vergessen mit sauberem Besteck und sauberen Tellern. In der Schule sitzt man auf Stühlen und an sauberen Tischen. Das Essen aus der Kantine wurde absolut hygienisch behandelt und es wird genauso viel angeboten, wie morgens am Frühstückstisch. Die Schule endet durchschnittlich zwischen eins und zwei und der Unterricht wird von ausgebildeten Lehrern getragen, die pädagogisch eine besondere Ausbildung an der Universität hatten. Nachmittags kommt man nach Hause und schmeißt den Schulkram, im eigenen Zimmer, in die nächste Ecke, um sich einem Buch und der Musik aus der Stereoanlage zu widmen. Von der Vielfalt beim Mittagessen fang ich gar nicht erst an. Letztendlich opfert man dem Lernen für die Schule nur noch dreißig bis sechzig Minuten. Im Urlaub geht es hinaus in die Welt. Wie man seine Freizeit gestaltet, ist natürlich von Person zu Person abhängig, dennoch ist es klar, dass man dabei jeden erdenklichen Luxus genießt und gar nicht lernt die kleinen Dinge im Leben zu schätzen.
Eigentlich wollte ich von etwas ganz anderem schreiben. Nämlich davon, dass ich selbst merke, wie ich von Tag zu Tag offener werde. Aber wenn ich nun genauer über den ersten Teil meines Textes nachdenke, dann fällt mir auf, dass mich genau diese Erkenntnisse verändern. Ebenso ist mir klar geworden, dass die kleine Schule, in der ich lebe, mir mehr geben wird, als ich ihr jemals im gesamten Jahr geben könnte. Es ist einerseits schwer das einzusehen, andererseits bin ich nicht der erste Freiwillige hier und den anderen wird es nicht anders ergangen sein.
Vielleicht ist es auch der Unterricht, der mich so verändert. Ständig arbeitet man mit den Kindern, die kaum etwas besitzen, außer ihren großen Charakter, auf ein gewisses Ziel zu. Es ist ein ganz anderes Lernen, im Gegensatz zur Schule. Ich glaube, dass das Unterrichten hier mir später auch sehr in der Universität helfen wird. Man arbeitet in einer gewissen Weise nun wissenschaftlich, da ich selbst herausfinden muss, wie Kinder am besten eine fremde Sprache lernen. Hinzu kommt, dass man auch die fremde Kultur und die sozialen Umstände berücksichtigen muss.
(Ab hier sieht mein ä, ö und ü so aus: ae, oe, ue, denn ich schreibe ab hier mit einem englischen Laptop. Wie ihr sicherlich mitbekommen habt, habe ich lange nichts mehr geschrieben. Das lag nicht daran, dass ich keine Lust mehr auf Schreiben hatte, sondern, dass mein Windows den Loeffel abgegeben hat! Mein Computer liegt also momentan im Koma. Allerdings erwarte ich eine neue Windows CD, die dann hoffentlich meinen Computer wieder zum Leben erweckt. Und nun zurueck zum dem was ich euch vor ca. Zwei Monaten schreiben wollte...)

Man stellt sich nach nun fasst fuenf Monaten viele Fragen, unter anderem nach dem Sinn meiner Arbeit. Ich meine dabei allerdings nicht den Sinn meiner Arbeit, der meiner Schule nutzt. Natuerlich ist es nicht leicht und vielleicht auch nicht moeglich einen hoeheren Sinn in all Dem hier zu finden. Man denkt allgemein viel ueber die erlebten Dinge nach und dabei erscheint einem das Leben oftmals sehr klein und kurz. Ein Beispiel, das vielleicht etwas schwachsinnig ist, womit man sich aber durchaus beschaeftigt: Ich verbringe ein Jahr in Indien. Der Durchschnittsmensch hat ungefaehr 75 Lebensjahre zur Verfuegung. Wenn ich nun ueber das gesamte Leben eines Menschen nachdenke, dann erscheint mir dieses eine Jahr schon als ein ziemlich grosser Teil. Das ist sehr philosophisch und vermutlich auch sehr unverstaendlich. Aber diejenigen, die mir bis hierhin folgen konnten, werden vielleicht sich eine Vorstellung von dem Sinn meiner Gedankenwelt hier machen koennen. Dieses Jahr wird eine viel groessere Bedeutung fuer mein Leben haben, als ich es mir vorher je vorstellen konnte.
Vermutlich habe ich all die Gedanken ueber das „Warum?“, da ich taeglich sehr viele Eindruecke habe und es mir oft erscheint, dass ich viele gar nicht verarbeiten kann. Wenn ich wieder in Deutschland bin und mich jemand fragt: „Erzaehl mal was ueber Indien!“ Dann werde ich demjenigen wohl keine Antwort geben koennen. Alles was ich bewusst und unbewusst nun ueber das indische Leben gelernt habe, werde ich in meinem ganzen Leben nicht erzaehlen koennen. Auch nur einen kleinen Teil zu erzaehlen, wird mir nicht gefallen, denn wenn ich beispielsweise sage: „Ich bin oefters abends mit Sara und Frederic ins Dorf hinunter gegangen, um ein Omlet zu essen.“ Dieser Satz bedeutet so viel und umfasst viele Dinge, die ganz anders sind zum europaeischen Leben, sodass ich mich sehr unwohl fuehlen wuerde nur diesen einen Satz zu erzaehlen. Wie ihr merkt, ist es mir nicht moeglich euch eine richtige Vorstellung von meinen Erzaehlungen zu machen. Natuerlich werde ich euch dennoch von Indien erzaehlen!
Letztenendes werden wir Frewilligen uns gegenseitig nur wirklich verstehen. Denn den Indern ueber solche Themen zu erzaehlen macht keinen Sinn. Fuer jemanden, der in dieser Kultur aufwaechst, sind all die Erlebnisse meistens voellig normal und darin dann den Hintergrund meiner Gefuehle und Gedanken zu sehen ist praktisch unmoeglich. Aber vielleicht haette ich das von Anfang an erwarten muessen.

In der Zwischzeit ist sehr viel passiert. Um euch ein paar Stichpunkte zu geben: Neue Klasse, Olympische Spiele, Midyear Camp und Weihnachten. Ich werde nun versuchen euch so viel wie moeglich ueber diese Dinge zu erzaehlen.
Mein letzter Eintrag war ueber meinen Urlaub. Nachdem ich wieder gekommen bin, ging der Schulalltag wieder los und somit auch meine Englischklassen. Es gab aber eine kleine Aenderung. Ich unterrichte jetzt nicht mehr die fuenfte sondern die vierte Klasse. Sie ist ebenfalls sehr aufgeweckt, allerdings viel mehr leistungsorientiert. Somit macht der Unterricht sehr viel Spass. Ebenfalls hat sich auch was in der dritten Klasse getan. Ich unterrichte jetzt nur noch die leistungsstarken Schueler, da die Schule eine weitere indische Englischlehrerin eingestellt hat, die die schwachen Schueler meiner dritten Klasse uebernimmt, da sie Kannada versteht. Jetzt muss ich die leistungsstarken Schueler nur noch davon ueberzeugen, dass sie lestungsstark sind!
Am zehnten und elften Dezember fanden die olympischen Spiele fuer die Kinder statt. Es waren Spiele der absoluten Hoechstspannung und Dramatik! Es wurde um Gold, Silber und Bronze beispielhaft gekaempft. Die echten Spiele haetten es nicht toppen koennen. Sieger wurden gefeiert und Vielerer uebergaben sich den Traenen. Es waren die Spiele der Emotionen. Man pruefte sein Koennen in folgenden Kategorien: 100-Meter Sprint, 400-Meter Sprint, Hochsprung, Weitsprung, Coq-Fight und Special Race. Die Kinder bildeten Teams, wobei man fuer das Team Punkte sammelte, aber auch die Einzelwertung beruecksichtigt wurde. Zu gewinnen gab es Suessigkeiten und die Teams gewannen neue Sportsachen fuer die Schule. Das Special Race war der Hoehepunkt der Spiele. Es war eine umgewandelte Form des Platechecks, Eierlaufen und Sackhuepfen. Die olympischen Spiele waren fuer mich eine besondere Erfahrung, da ich fuer die Kinder nicht der Lehrer war und somit ein viel engere Beziehung zu ihnen hatte. Es hat mir viel Freude gemacht Fotos zu schiessen und die Kinder zu betreuen.
Unmittelbar nach den Olympischen Spielen war es auch schon Zeit fuer das sog. Midyear Camp. Dies fand in Mysore, auf dem Infosys-Gelaende statt. Am vierzehnten Dezember nahm ich einen Nachtzug von Dharwad nach Mysore. Die gesamte Zugfahrt dauerte ueber zehn Stunden fuer ca. 490km. Das Infosys-Gelaende, wovon es in ganz Indien drei Stueck gibt, wobei unseres aber der groesste Campus in ganz Asien ist, umfasst ungefaehr 135 Hektar. Das Gebiet hat ein eigenes Kino, ein riesigen Sportcampus, viele Restaurants und eine riesige Wohnflaeche. Die Zimmer waren im Gegensatz zu unserer Schlammhuette ein echter Luxus, da wir ein weiches Bett, ein tolles steinernes Badezimmer und einen Fernseher hatten. Und es war sauber! Es war schoen all die anderen Freiwilligen wieder zusehen und sich ueber die bisherigen Erlebnisse auszutauschen. Die letzten zwei Tage verbrachten wir in einem Nationalpark, wo wir Tiger, Baeren und anderes Getier sahen.
Und nun ist auch schon Weihnachten! Den Heiligabend verbrachte ich mit allen anderen Freiwilligen und der Gruenderfamilie, die am selben Tag aus Kanada angekommen waren. Wir haben ein tolles Festessen veranstaltet und haben unter den Sternen am Lagerfeuer Gitarre gespielt, gesungen und gegessen. Es ist ein anderes Weihnachten, so viel ist sicher! Aber es ist schoen.

Frohe Weihnachten! An all meine Freunde daheim, an meine Familie (die sich heute mal weihnachtlich zusammensetzt und gemeinsam feiert) und an all die anderen die meinen Blog verfolgen. Ich hoffe ihr habt besinnliche Festtage und geniesst die gewohnt ruhige und romantische Atmosphaere! Ich bin in Gedanken bei euch.

Silvester werde ich auch in der Schule feiern und mir einige von den fast lebensgefaehrlichen Knallern besorgen. Die Coldseason ist bald vorbei und die taegliche Temperatur liegt bei ueber 35 Grad. Man muss mehrmals am Tag sagen, dass Weihnachten ist. Ansonsten glaubt man das nicht.

Viele liebe Gruesse!

Julius

Samstag, 10. Dezember 2011

Der naechste Eintrag folgt bald!

Hey Leute,
Es tut mir leid, dass ich mich so lange nicht mehr gemeldet habe. Da aber leider mein Computer nicht mehr funktioniert, ist die Zeit des Schreibens etwas ausgefallen.
Der naechste Eintrag ist schon fast fertig!! Ich muss ihn nur irgendwie von meinem zerstoerten Windows bekommen.

Alles liebe und bis bald!

Julius

Montag, 7. November 2011

Urlaubstage in Gokarn, Palolem und Hampi

Um acht Uhr morgens spüre ich das Gewicht meines roten Rucksacks auf meinen Schultern. Es ist schön kühl und der Himmel blau. Perfektes Reisewetter!
Reisen heißt Entdecken und Erfahren. Man reist immer mit Erwartungen und bestimmten Klischees. Dass Erwartungen und Klischees widerlegt werden, ist, für mich, das Besondere am Reisen. Nun bin ich also ein sogenannter Traveller, ein Reisender, ein Suchender. Auf der Suche nach dem Besonderen und dem Unerwarteten an der Erde und an dem Menschen. Beim Klettern bin ich intensiv mit mir selbst und der Natur verbunden und auf der Suche nach meinen Grenzen. Diese Reise sollte der Start für das Entdecken anderer Grenzen sein.
Meine erste kleine Reise umfasste überwiegend einen Teil der typischen Touristenorte Indiens. Goa und Hampi. Doch Paul’s und mein Reiseplan sah zuerst Gokarn, das kleine Goa der Traveller, vor. Nach Gokarn reisten wir ausschließlich mit dem Bus. Das Reisen in Indien ist schon wahnsinnig günstig. Für die vier Busse, die wir auf unserem Weg nach Gokarn genommen haben, zahlten wir ca. 150 Rupien, also umgerechnet, nicht mehr als 2,30 €, bei einer Strecke von über 150 Kilometern! Im Laufe des Nachmittags wurde es schnell sehr warm in den Bussen und man saß schwitzend auf den Sitzen. In dem Bus nach Ankola unterhielten wir uns lange mit einem Wiener namens Fabian, der schon seit drei Monaten den Norden Indiens bereist hat, dabei ist er auch unter anderem in Ladakh unterwegs gewesen, also im Himalaya, dort wo ich auch plane, am Ende meines Auslandsaufenthaltes, hinzufahren. Fabian berichtete uns viel von seinen Eindrücken und Erlebnissen und machte mir richtig Lust auf das Entdecken neuer Orte. Der Busfahrt ist ansonsten nicht mehr viel hinzuzufügen, außer, dass der letzte Bus, von Ankola nach Gokarn, schon sehr nach Fisch roch und das Metal des Busses an vielen Stellen von Salz zerfressen war.
Gokarn ist ein sehr kleines Dorf, das über einen kleinen Busbahnhof verfügt. Im Dorf selbst riecht es gar nicht nach Meer, so wie ich es erwartete. Auch ist es nicht dermaßen von Touristen überlaufen. Auf der Suche nach einem Geldautomaten sehen wir schon den Großteil des Dorfes. Wie ich finde, wird es seinem Ruf, als ein charmantes kleines Fischerdorf mit vielen kleinen Gassen, gerecht. Gokarn war vor ca. zwanzig Jahren ein geheimer Hippie Treffpunkt, da man Zuflucht vor, dem vom Tourismus entdeckten, Goa suchte. Doch vor fünf bis zehn Jahren eroberte auch der Tourismus dieses kleine Dorf und veränderte die Stimmung dieses Ortes maßgeblich. Wir reisten glücklicherweise nicht in der Hauptsaison, sodass man überwiegend nur andere Traveller sah. Was dieses Dorf allerdings berühmt gemacht hat, sind die traumhaften karibischen Strände. Mal abgesehen von dem stark verschmutzten Dorfstrand, sind die Strände Gokarns sehr einsam und naturnah. Berühmt sind vor Allem der sog. „Om-Beach“, „Half-Moon-Beach“ oder der wohlklingende „Paradies-Beach“. Mich zieht es zu einem der einsamsten Strände, dem „Om-Beach“. Da wir uns zuvor noch lange im Dorf aufgehalten hatten und uns die Ansicht eines Inders, im Bezug auf den Kaschmir-Konflikt, angehört hatten, wanderten wir spät los. Der Om-Beach liegt ca. vier Kilometer von Gokarn entfernt und kann entweder zu Fuß oder per Rikscha erreicht werden. Wir mussten uns zum einen wegen der anbrechenden Dunkelheit sputen, zum anderen aber auch wegen einem mächtigen Gewitter, das uns plötzlich im Nacken saß. Auf der Hälfte der Strecke holten uns Dunkelheit und Gewitter ein und wir waren gezwungen uns eine von drei verfügbaren Rikschas zu nehmen. Der Rikschafahrer erkannte natürlich unsere bescheidene Situation und stieg in das Verhandlungsgeschäft mit einem absolut überzogenen Preis ein. Wir schafften es so gerade den Preis um hundert Rupien runter zu handeln, wobei wir dabei tief in die Trickkiste greifen mussten. Letztendlich zahlten wir immer noch zu viel. Bei Dunkelheit, Sturm und starkem Regen ging es per Rikscha an der Küste entlang. Am Om-Beach angekommen checkten wir dreißig Meter vom Meer entfernt im „Namasté Café“ ein. Mit dreihundert Rupien pro Nacht für ein Doppelzimmer, war der Preis akzeptabel, da das Café traumhaft gelegen war. Am Abend machten wir noch einen kleinen Strandspaziergang und genossen die einmalige Atmosphäre.
Warum wirkt das Meer auf Menschen anziehend? Weil es endlos, unergründlich oder geheimnisvoll ist? Oder einfach nur weil es auf gigantische Weise schlicht ist? Auf mich hat das Meer, wie die Alpen eine beruhigende Wirkung, wobei ich die Berge stets dem Meer vorziehen würde. Auch die unberührten Traumstrände Gokarns haben diese Einstellung an mir nicht geändert. Dennoch waren die Momente am Strand besonders. Den folgenden Tag widmeten wir natürlich dem Meer, zumal wir schon den Großteil des Dorfes gesehen hatten. Dazu habe ich nur zwei Dinge zu sagen: Salzwasser schmeckt nicht und Wellenreiten macht riesen Spaß! Der schönste Teil des Tages war der Abend, wo wir ein langes Stück an der Steilküste entlang wanderten und eine lange Zeit auf den Klippen bis zur Dunkelheit saßen und den Sonnenuntergang abwarteten. Ein besonderer Augenblick war die Begegnung mit zwei Delfinen, die im Abendlicht Saltos vollführten. Am Abend im Restaurant trafen wir Vinod, einen reichen Sohn eines berühmten indischen Unternehmers, der an einer Elite-Uni in Großbritannien studiert hat und nun plant ein Zwei-Millionen-Dollar Unternehmen aufzubauen. Er lebt in Palolem, den Ort, den wir am darauf folgenden Tag erreichen wollten, um gemeinsam mit Freunden Urlaub zu machen. Im Verlauf des Gespräches am nächsten Morgen, erklärt er sich bereit uns per Auto mit nach Palolem zu nehmen.
Auf der Fahrt erzählt er uns viel über sein Vorhaben und das Unternehmen seines Vaters, aber auch, wie sich die Gegend rund um Gokarn und Goa verändert. Neben dem starken Einfluss des Tourismus, ist die Gegend um Karwar neuerdings Militärgebiet, da diese Gegend angeblich eine gute strategische Lage besitzt. In diesem Zusammenhang wird dort neuerdings der größte Flughafen Karnatakas gebaut und ein großer Küstenstreifen ist Sperrzone. Von der Straße aus können wir ab und zu einen Blick in den Militärbereich werfen, wo kräftig gebaut wird. Neben der Landschaft verändert sich aber auch der Tourismus, so Vinod. Der Tourismus in Gokarn sei stark zurück gegangen und „dieser Prozess wird sich fortsetzten“. Dabei wird es einen Teil der Bevölkerung geben, der sich darüber freut, aber auch einen Teil geben, der versucht diesen Prozess zu stoppen, um einen Profitverlust innerhalb Karnatakas zu verhindern. Was für einen Glückstreffer wir mit Vinod und seinem Auto gelandet haben, wird mir erst im Laufe der Fahrt bewusst. Die Strecke nach Palolem bzw. Cancona hätte mindestens drei Busse in Anspruch genommen.

Vinod fährt uns mit seinem Auto direkt zum traumhaften Südseestrand Palolems. Palolem ist nicht gerade groß, es ist vergleichbar mit Gokarn. Als erstes versuchten wir ein Guest House direkt am Strand zu bekommen. Schnell wird aber klar, dass dies nicht funktionieren wird. Obwohl noch Nebensaison ist, sind alle Unterkünfte in unserer Preiskategorie belegt. Der Grund, warum wir nach Palolem reisten, war, dass wir uns dort mit Freunden treffen wollten, um gemeinsam ein wenig Zeit zu verbringen. Max & Co hatten schon eine günstige Unterkunft entdeckt, die relativ zentral in Palolem gelegen ist und auch noch für uns Platz bot. Die Tage in Palolem waren sehr schön. Morgens genoss man sein traumhaftes Frühstück, mittags war man in der wunderschönen Landschaft unterwegs und abends ging man gemeinsam in einem der zahlreichen Restaurants essen. Das Besondere an der Zeit in Palolem war, dass man sich Roller und Motorräder ausleihen konnte. Auf unseren Touren entdeckten wir andere Dörfer und schönere Strände und ich lernte Motorrad fahren. Der Süden Goas ist landschaftlich wunderschön und entzückt durch einsame Dörfer zwischen Reisfeldern und hier und da steht mal ein prachtvoller Tempel. Ganz zu schweigen von den Bilderbuchstränden. Dennoch ist Goa eindeutig eine Touristenattraktion. Für mich als Freiwilliger, der in Dharwad, der nächst größeren Stadt, nie einen „hellhäutigen“ zu Gesicht bekommt, kam es mir so vor, als wäre ich irgendwo am Mittelmeer. Überall Touristen, die meist nur wegen Strand und Party nach Indien kommen und die dementsprechend auch nichts von der eigentlichen indischen Welt realisieren. Orte, wie Palolem, dienen einem Freiwilligen letztendlich dazu, wieder etwas das „westliche Leben“ zu konsumieren.
Die Tage in Goa vergehen schnell. Für Paul und mich geht es schließlich weiter nach Hampi, unserer letzten Etappe. Zuvor wollen wir uns aber mit den anderen Freiwilligen aus unserem Projekt in Gadag treffen, um eine Familie von zwei Schülern der Schule zu besuchen. Aus Cancona, dem nächst größeren Ort in der Nähe Palolems, geht es per Zug nach Madgaon. Madgaon ist eine unscheinbare Stadt in Goa, die für Reisende lediglich ein Ort ist, wo nach Benaulim, Palolem oder Agonda umgestiegen wird. Wir bleiben eine Nacht in Madgaon und müssen bei der Beschaffung der Zugtickets etwas pokern, da schon alle Tickets verkauft sind, es aber immer am Morgen des nächsten Tages Resttickets gibt. Wir haben Glück und sitzen am nächsten Tag, selbst für indische Verhältnisse, in einem überfüllten Zug. Es ist so eng, dass man zusammengepresst über seinem Rucksack steht und dennoch die Leute an einem vorbei klettern müssen. Wir stehen in der Sleeper Class direkt neben den Toiletten und es stinkt jedes Mal bestialisch, wenn jemand die Toilettentür öffnet. Normalerweise hat man in der Sleeper Class immer einen Platz, aber heute ist das unmöglich. Irgendwann reicht es mir und ich setzte mich zwischen zwei Wagons mitten auf den Boden, was bei den Indern erstaunte Blicke hervorruft. Der Boden ist zwar dreckig, aber immerhin sitze ich und bin außer Reichweite der Toilettengase. Ich sitze dort solange, bis ein Fahrkartenkontrolleur kommt und nach meiner Fahrkarte fragt. Ich gebe ihm meine. Er schaut sie sich eine Weile an. „Sie sind im falschen Abteil! Sie haben eine Fahrkarte für eine niedere Klasse. Sie müssen noch mal was nachzahlen, damit sie hier sitzen dürfen.“ Ich bin belustigt und sage: „Aber ich sitze hier auf einem schmutzigen Boden zwischen zwei Wagons! Dieser Sitzplatz ist eigentlich unter meiner gekauften Klasse.“ Das versteht der Kontrolleur allerdings nicht und zeigt sich nicht nachgiebig. Letztendlich zahle ich achtzig Rupien mehr, um mich in dem Wagon aufhalten zu dürfen. Der Kontrolleur war jedoch alles andere als unfreundlich und führt mich direkt zu einem Sitzplatz, wo ich bis Gadag sitzen bleibe. Die Zugfahrt ist sehr schön, was vor allem an der schönen Landschaft liegt. Der Zug hält auf seiner Fahrt nach Kalkutta auch in Dharwad, wo wir die anderen Freiwilligen treffen, die zu uns in den Zug steigen. Insgesamt dauert die Fahrt von Madgaon nach Gadag ca. sechs Stunden. Für die gesamte Strecke von Madgaon bis Kalkutta braucht er über achtundvierzig Stunden.
Die Familie, die wir besuchen wollen, lebt in einem Dorf zehn Kilometer entfernt von Gadag. In dem Dorf selbst ist wohl vorher noch nie eine „weiße“ Person gewesen und dementsprechend sind die Kinder, die dort leben, fasziniert. Wir werden von der Familie herzlich Willkommen geheißen und werden mit Tee und Essen nur so voll gestopft. Die ganze Zeit, während unseres Besuches, lungert ein dutzend Kinder vor der Tür des Hauses herum und versucht einen Blick auf uns zu erhaschen. Schließlich erbarmen sich Sara und Fréderic, meine Mitfreiwilligen, und gehen zu den Kindern hinaus zum spielen, bis es dunkel wird. Wenn man in Indien jemanden besucht, dann sollte man viel Zeit mitbringen. Es wird viel geredet und überwiegend gegessen. Leider hatten wir an dem besagten Abend nicht viel Zeit, da wir am Abend selbst noch weiter nach Hampi reisen wollten. Drum wurde das Abendessen, was sich wahrscheinlich noch endlos in die Länge gezogen hätte, von uns rapide gekürzt, sodass wir später noch einen Bus nach Kopalla und von dort aus einen Bus nach Hospet, der nächst größeren Stadt in der Nähe des Dorfes Hampi, bekommen konnten. Von Hospet ging es dann per Rikscha weiter nach Hampi.
Hampi, damals Vijayanagar, war im Jahre 1509 eine reiche Hauptstadt des damaligen Königreiches Kampila. Unter den Brüdern Harihara und Bukka entfaltete sich die damalige Handelsstadt zur mächtigsten Metropole des Südens oder gar ganz Indiens. Kampila galt damals als das letzte verliebende Hindureich und wurde schließlich 1565 durch einen Krieg innerhalb Indiens zerstört, gebrandschatzt und ausgeplündert. Heute sind die beeindruckenden Überreste der Paläste und Tempel immer noch zu bewundern.
 Wir alle quartieren uns am Fluss im sogenannten „Garden Paradies“ ein und genießen westliche Kost. Wir trafen mitten in der Nacht in Hampi ein und hatten außer von ein paar vereinzelten Säulen noch nicht viel von den Tempelanlagen gesehen. Als ich am Morgen aus einer der Bambushütten trete, kann ich erstmal nur „Wow!“ sagen. Vor mir erstreckte sich eine steinerne Landschaft, wobei die rötlichen Granitfelsen bis an den Horizont reichen. Das reinste Kletterparadies! Am Tag selbst erkunden wir die Überreste der einst so prachtvollen Tempelanlagen. Oft glaubt man die uralte Macht spüren zu können, die von den steinernen Überresten ausgeht. Man fühlte sich hineinversetzt in das alte, so machtvolle Königreich. Von den bisher gesehenen Orten hat mir dieser landschaftlich schönste Ort am besten gefallen. Überall sah man Überreste des untergegangenen Hindureiches und die Natur schien so unberührt, dass ich es kaum erwarten konnte meine Kletterschuhe auszupacken. In den vier Tagen, wo alle Freiwilligen beisammen waren, erkundeten wir einen großen Teil aller Tempelanlagen in Hampi und waren zum Schluss sehr erschöpft.
Frederik und ich blieben schließlich in Hampi, als es für die anderen an der Zeit war abzureisen, da wir beide planten eine Woche länger zu bleiben. Allerdings wechselten wir auf die andere Seite des Flusses, wo sich mehr Traveller aufhalten. Die folgende Woche war allerdings nicht so erfolgreich wie erhofft. Wir wurden krank, was unsere Planungen stark einschränkte und schließlich nur zu einer Motorradtour mit anschließendem Klettern reichte und dem Besichtigen eines weiteren Tempels auf der anderen Seite des Flusses. Dennoch war die Woche nicht vollkommen enttäuschend gewesen. Die Atmosphäre auf der anderen Seite war wundervoll und in den kleinen Guest Houses wurden abends Hollywoodfilme gezeigt. Man lag, wie die alten Römer, an Tischen beisammen und wir lernten viele neue Menschen kennen.
Hampi! Ich werde wiederkommen! Denn du bist wunderschön! Die Rückreise traten wir wieder per Bus von Hospet nach Hubli an und von Hubli nach Dharwad. Den Abschluss des Urlaubes krönten wir noch mit einem Abendessen mit Hühnerfleisch, was wir in Kalkeri nie zu Gesicht bekommen.
Ich denke, die Reise hat mir viele neue Erfahrungen geschenkt. Man lernt offen auf fremde Menschen zuzugehen und sich nicht durch die Masse des Fremden erdrücken zu lassen. Ich habe außerdem besondere Orte gesehen, die mich nicht so schnell loslassen werden. Es ist durchaus etwas Besonderes die Welt auf eigene Faust zu entdecken.
Nach meinem Urlaub standen Arbeitstage in der Schule an. Häuser mussten renoviert werden oder gar völlig umgebaut werden. Der wichtigste Baustoff ist dabei „Gobba“, Kuhmist und Wasser. Ab und zu wird auch mal Schlamm dazugemixt. Zur Herstellung: Man nehme fünf Kilogramm Kuhmist (Sie muss frisch sein! Man merkt es beim Sammeln, wenn man sie mit den bloßen Händen auf die indischen Paletten hievt. Sie ist dann sehr schleimig und mit einem grünlichen Sekret vermischt.), man mixe den Kuhmist mit fünf Litern Wasser und vermische alles zu einem Brei. Gobba wird für den Bau von Böden oder Wänden benutzt. Man arbeitet, wie immer, mit den Händen. Die handwerkliche Arbeit gefällt mir gut, da dies eine gehörige Abwechslung zum Schulalltag war. Während der Ferien waren keine Kinder in der Schule, bis auf die Schüler, die auf das College gehen, was die Schule ungewöhnlich still machte.
Bei mir hat sich einiges an meinem Arbeitsplan geändert. Mein Day-off ist nun montags. Außerdem unterrichte ich nicht mehr die fünfte Klasse, sondern nun die dritte und vierte Klasse, worüber ich froh bin, da ich nun weniger Schüler habe. Momentan werden auch die Olympischen Spiele geplant, die immer um den Dezember herum exklusiv hier in der Musikschule ausgetragen werden! Dazu wird es aber sicher noch einen Blogeintrag geben.
Heute ist die Schule wieder losgegangen und der normale Tagesablauf wird sich wieder einstellen.
So das war es erstmal von meiner Seite aus. Der nächste Eintrag wird sicher bald folgen.

Viele Grüße

Julius

Freitag, 7. Oktober 2011

Meine kleine indische Dichtung


Für den Sohn des Brahmanen und Hermann Hesse.



Dem Wasser folgt die Sonne,
Blätter sich im Winde wiegend.
Er, der mich berührt, ist willkommen,
Denn er kühlt in der Morgenwärme.

Der Himmel so blau und nah,
Wolken zum greifen über uns schwebend.
Diesen Moment kennt Siddhartha,
Es ist sein Eigen, seine Schönheit.

Der Sonne folgt das Wasser,
Vom Dache und den Blättern tropfend.
Alles umgebend, beginnt man zu spüren,
Dass das Grüne einen wärmt.

Nun greift der Himmel nach dir,
Graue Arme streicheln über Blätterdach und Palmen.
Diesen Moment kennt Siddhartha,
Es ist sein Eigen, seine Schönheit.

Steine wärmen die Nacht,
Wo die Sonne sie erhellte.
Die Nacht hat ihr eigenes Lied,
Die kleinen Kinder Indiens singen.

Der Himmel offenbart dir sein Geheimnis,
Milliarden Juwelen dir geschenkt.
Diesen Moment kennt Siddhartha,
Es ist sein Eigen, seine Schönheit.

Volle Straßen, die dich verschlingen,
Mit Gerüchen betören und küssen.
Sie helfen, betrügen, tanzen, lachen,
lassen einen niemals unberührt.

Sie fürchten die Weiten des Himmels,
Schenken ihre Liebe ihrem Heim.
Diese kennt Siddhartha,
Sie sind sein Eigen, seine Schönheit.

Samstag, 1. Oktober 2011

Eine andere Seite Indiens

Der Drache ist rot. Naja … nicht ganz, ein kleiner Teil des gelblichen Schriftzuges „Indian Post“ lässt sich noch erkennen, wenn der Drachen, bei seinem sanften Schwingen, im idealen Winkel zur Sonne und dem umgebenden blauen Himmel steht. Der rote Drache muss früher einmal das Leben einer Plastiktüte gefristet haben. Zusammengehalten wird er durch zwei Bambusstäbe, die so zusammengeflochten sind, dass sie ein Kreuz bilden. Der Drache ist nicht frei. Er ist gebunden. Er ist gebunden an eine zwanzig Meter lange Kordel, die von einem kleinen Jungen gehalten wird.
Auch der Junge ist gebunden, an seine Kaste. Er steuert den Drachen von einem kleinen Wellblechdach aus. Wenn man in den Eingang dieser kleinen Unterkunft blickt, erkennt man, dort wo das Licht hinfällt, eine kleine Kochstelle, ein, aus Seil und Brettern zusammen geflochtenes, Regal und eine, am Boden liegende, Chetai. Dieser Ort ist nicht größer als neun Quadratmeter und ist das Zuhause für eine ganze Familie. Es ist, wie die kleinen Häuser in Kalkeri, bunt angemalt und sieht trotz dieser verschwindenden Größe einladend und freundlich aus. Der Drache vollführt eine Schraube und der Junge, der bereits bemerkt hat, wie ich ihn angaffe, lacht mir zu und bietet mir seinen roten Drachen an. Er trägt eine dreckige, löchrige Hose und ein schmuddeliges blaues Hemd. Sein schwarzes Haar fällt ihm in die Stirn und in seinem Gesicht zeichnet sich, trotz der spärlichen Lebensverhältnisse, die pure Glückseligkeit ab. Um seine Handgelenke trägt er viele Armbänder, die die enge Freundschaft zu einem anderen Menschen symbolisieren. Obwohl der kleine Junge kaum etwas besitzt, bietet er mir seinen einzigen Schatz, den Drachen, zum spielen an. Er ist breit zu teilen, auch wenn es nicht viel ist, was er besitzt. Ich lehne sein Angebot lächelnd ab und gebe ihm zu verstehen, dass ich lieber dem Drachen beim Fliegen zu sehen möchte. Ich würde ohnehin den Drachen in den nächst besten Baum fliegen lassen.
Doch ein anderer Junge würde liebend gern mit dem Drachen spielen. Neben der kleinen Blechhütte, auf der der kleine Junge seinen Drachen steigen lässt, grenzt ein Haus an. Es ist umgeben von einer großen Mauer, die reich verziert ist. Die Größe des anliegenden Gartens, den die Mauer ebenfalls umschließt, lässt sich nur erahnen. Das Haus selbst ist groß und wirkt auf mich sehr modern. Ein Großteil der Fassade besteht aus Glas und vor dem Haus steht ein neues Auto. Im vorderen Teil des Gartens lässt sich ein Swimmingpool erkennen. Das Gebäude ist im Ganzen weiß gestrichen und, wie die Mauer, mit vielen prunkvollen Farben verziert. Es besitzt zur Straße hin einen großen Balkon, auf dem sich wahrscheinlich die gesamte Straße überblicken lässt. Auf diesem Balkon steht ebenso ein kleiner Junge der so gerade über die Balustrade blicken kann und dem Jungen mit dem Drachen neidisch zusieht. Er fragt seine Mutter, die teure Gewänder und Schmuck trägt, der bis zu mir hinüberglitzert, ob er zu dem Jungen auf dem Wellblechdach gehen dürfe. Obwohl auf Kannada oder Hindi gesprochen wurde, lässt sich diese Frage eindeutig herausinterpretieren. Doch er darf nicht. Seine Mutter lässt ihn lieber hinter seinem prunkvollen Palast verbarrikadiert, anstatt ihn zu diesem geringeren Jungen hinunter zu lassen.
Kontraste, wie dieser mir in einer der Nebengassen von Dharwad begegnet ist, gibt es in Indien in vielen verschiedenen Ausführungen. Sei es ein Bettler vor einem großen Luxushotel oder ein kleines Kind, das uns „Weiße“ im Busbahnhof nach Geld fragt. Aus einer der indischen Kästen heraus zu kommen ist sehr schwer. Meist ist dies nur durch eine Heirat oder ähnlichem möglich. Es ist jedoch nicht so, dass Menschen aus einer der unteren Kästen nicht gesellschaftlich akzeptiert sind. Es ist nur so, dass es meist sehr schwer ist seinen sozialen Standard zu heben. Im „normalen“ Leben hier, hat alles eine feste Ordnung. Jeder findet sich mit seiner gesellschaftlichen Rolle ab, so wie sie ihm gegeben ist. Ein Arbeiter wird stets ein Arbeiter sein und ein reicher Geschäftsmann stets ein reicher Geschäftsmann. Natürlich könnte ein Arbeiter versuchen sich in einer Weise selbstständig zu machen, dies ist meist aber durch das gesamte System nicht möglich und würde gesellschaftlich verurteilt werden. Durch dieses System entsteht des Öfteren auch eine Kluft zwischen Arm und Reich.
Nicht nur das System der Käste bestimmt das tägliche Leben, sondern, wie in fast allen Ländern auch, herrscht das Geld. In der indischen Politik ist Korruption ganz normal. Korruption wird in der Bevölkerung zwar verurteilt und öfters taucht schließlich auch einer aus der Masse an Politikern auf, der verspricht den Staat aus dieser Krise zu führen, doch diese Bewegungen enden meist alle gleich. Sie scheitern. Zumal die Leute öfters selbst in solchen Affären verstrickt sind. Das Geld hat dann doch einen zu großen Einfluss. Korruption findet man überall. Bei der Polizei, in der Politik, sogar bei der Post. Oft macht es keinen Sinn auf gewisse Rechte zu bestehen, denn viele Dinge sind fest in der Gesellschaft verankert und werden von dem Großteil der Bevölkerung getragen. Jeder ist stets auf seinen eigenen Vorteil aus und der Rest ist nicht von Interesse. Natürlich gibt es Ausnahmen, doch die Anzahl derer ist so verschwindend gering, dass der Einfluss auf die Menschen unbemerkt bleibt. Man ist also schließlich gezwungen Dinge wie Korruption einfach hinzunehmen, da diese sich nicht so schnell ändern werden. Geld regiert dann doch die Welt. Als Händler versucht man stets den best möglichen Gewinn herbei zu feilschen und wir Freiwilligen zahlen meist mehr als ein normaler Bürger. Der Korruption folgt also der Betrug. Man bekommt irgendwann ein Gespür dafür, wie viel nun dieser Stoff wirklich wert ist und wie viel man für zehn Bananen zahlen sollte.
Eine Familie, die nicht genug Geld verdient um den Monat zu überstehen, muss schließlich die eigenen Kinder arbeiten schicken. Diese trifft man wieder einmal am Busbahnhof an, wo sie mit Körben umherziehen und billiges Spielzeug, Obst oder teilweise streng riechenden Fisch verkaufen. Es ist klar, dass sie nebenbei nicht zur Schule gehen können. Schließlich besteht für das Kind selbst später die Gefahr, dass es, wenn es älter ist, in eine niedere Kaste absteigt.
Mal ganz abgesehen von den sozialen Missständen, herrschen in Indien weitere gravierende Probleme. Zum einen ist da das riesengroße Müllproblem, das vor allem am Anfang beeindruckend ist. Überall liegt Müll. Am Straßenrand, auf der Straße, auf dem Bürgersteig, in manchen Gärten, einfach überall. Das liegt daran, dass es in Indien keine Mülleimer gibt, woraus man schließlich zurückzuführen kann, dass es ebenso keine Mülltrennung und keine Verbrennungsanlage gibt. Der Müll wird gesammelt und einfach auf der Straße verbrannt. Was das für die Umwelt bedeutet, ist klar. Für mich ist es alles andere als leicht den Müll auf die Straße zu werfen, jedoch habe ich keine Wahl. Was man als Freiwilliger unternehmen kann ist: So wenig Produkte kaufen wie möglich, die aus Plastik bestehen. Wenn man einen Snack oder ähnliches kaufen möchte, besorgt man sich am besten Obst.
Wie schon einmal erwähnt, hat zumindest die Region, wo ich lebe ein Hundeproblem. Hunde vermehren sich hier unkontrolliert. Das hat viele Folgen. Angefangen bei den Impfungen in Deutschland. Der Hauptgrund für die Tollwut Impfung sind die streunenden Hunde. Zwar habe ich noch keinen Hund gesehen der irgendwelche Anzeichen für Tollwut hatte, dennoch halte ich es für gut möglich, dass diese Symptome hier schnell auftreten können. Die Hunde leben unter sehr schlechten Umständen. In den Städten findet man sie oft dort, wo es viel Müll gibt. Sie fressen Plastik und andere Dinge, die sie krank machen. Viele Tiere sind auch verletzt und laufen öfters mit gebrochenen oder ausgerenkten Beinen durch die Straßen. Nicht selten werden sie Opfer durch Revierkämpfe oder werden einfach vom Auto überfahren. Die Menschen hier interessiert das meist nicht, ob sie gerade einen Hund angefahren haben oder nicht, denn sie werden zumindest in den Städten als Parasiten angesehen. Allein die Schule hat sechs Hunde und früher waren es viel mehr. Im Dorf ist es, wie ich finde, unmöglich die Anzahl aller Hunde bloß zu schätzen. Einen Tierarzt, der sich um die Hunde kümmert, wird man hier in der weiteren Umgebung nicht finden.
Dies sind noch lange nicht alle negativen Seiten Indiens. Man könnte bei dem Verkehr weiter machen, der jährlich viel zu viele Todesopfer fordert. Man muss sich aber natürlich stets vor Augen führen, dass Indien ein Land ist, das noch in der Entwicklung steht und, wenn überhaupt, von manchen gerade mal als Schwellenland bezeichnet wird. Es ist falsch Indien politisch oder gesellschaftlich mit Deutschland zu vergleichen. Viele Einflüsse spielen in diese Kategorien ein, wie Kultur oder Menschenbild. Zumal Deutschland auch viele Probleme hat, zwar andere Probleme, die aber genauso von Belangen sind. Denn Deutschland befindet sich wie jedes andere Land im Bestreben ein ideales System zu finden. Ich bin jedoch skeptisch, ob so was, bei der Masse an Menschen, überhaupt möglich ist. Dennoch bin ich froh in Deutschland aufgewachsen zu sein, denn die Kinder hier werden niemals dieselben Möglichkeiten haben, die ich für meine Zukunft habe. Mir ist auch der Wohlstand bewusst geworden in dem ich lebe, an den ich immer gewohnt war, der mir nun aber klar geworden ist. Es ist jedoch auch schön in niedrigen Lebensumständen zu leben, denn dadurch lernt man ebenfalls die kleinen Dinge im Leben zu schätzen. Der rote Drache, der mir in Dharwad begegnet ist, war somit in diesem Moment auch etwas Besonderes.

Julius

PS: Bilder kommen auch hier später.

Sonntag, 25. September 2011

Title: Unknow

Ein Gespräch mit Yashwad vor wenigen Minuten veranlasst mich zu meinem nächsten Blogeintrag.
Ich betrete das Office, in der Hoffnung ins Internet zu kommen. Neben Yashwad ist keiner dort. Kurz nachdem ich mich gesetzt habe, fragt mich Yashwad ob ich krank sei. Ich bin etwas irritiert und sage „nein“. Schließlich fragt er mich ob ich mich in der Schule wohl fühle. Die Frage überrascht mich, da ich stets versucht habe daran nie geringste Zweifel aufkommen zu lassen. So ganz neben bei: Ich fühle mich hier mittlerweile sehr wohl! Ich frage Yashwad warum er mich das fragt. Er denke das, da er mich niemals mit Kindern spielen gesehen habe und deshalb gedacht habe, ich könne nicht so gut mit Kindern und würde mich eher vor ihnen zurückziehen. In diesem Moment fühle ich mich dazu gezwungen mich zurechtfertigen und erkläre ihm, dass ich mich immer, wenn ich die Bücherei führe, mit den Schülern beschäftige und vor Allem mit den Kleinen spiele. Yashwad akzeptiert diese Antwort.
Mir war diese Situation unangenehm, da ich in solchen Fragen oder Aussagen öfters eine Kritik sehe. Hier interpretierte ich die Aufforderung heraus, mich mehr mit den Kindern beschäftigen zu müssen. Vielleicht ist dies ein Alltagsproblem mit dem man sich nach einem ca. einmonatigen Aufenthalt im Projekt, beschäftigt. Doch mir ist beim Grübeln über dieses Problem etwas Anderes ins Bewusstsein gekommen. Ich glaube, dass man die Erfahrungen, die man hier sammelt, spüren kann. Einer der Gründe warum ich mich für ein solches Auslandsjahr entschieden habe, war der Wunsch durch Erfahrungen zu reifen. Nun habe ich heute zum ersten Mal in diesem Punkt bewusst ein Erfolgserlebnis wahrgenommen. Das klingt vielleicht etwas übertrieben, dennoch habe ich das Gefühl, dass ich ca. vor einem Monat das letzte Mal mein Zimmer als „Kind“ betreten habe. Das ich hier in meinen Entscheidungen und Problemen überwiegend auf mich allein gestellt bin, entwickelt in mir ein neues Bewusstsein. Dennoch werde ich ganz bestimmt nicht als vollkommener Erwachsener wiederkommen, denn das will ich auf keinen Fall. So viel erstmal zur Philosophie.
Mir kommt es vor, als wäre mein Blog sehr auf mich zugeschnitten. Ich würde eigentlich gerne viel mehr über das Land berichten, in dem ich lebe. Doch das ist schwer. Indien ohne jegliche Verallgemeinerungen zu beschreiben ist, wie ich finde, praktisch unmöglich. Indien ist, fast in jedem Teil des Lebens, so verschieden zu Deutschland. Deshalb ist es ebenfalls unmöglich das exakte Gefühl oder den Eindruck hundertprozentig zu beschreiben. Indien ist so vielseitig, was es nicht möglich macht dem Leser das Gefühl zu geben hier zu sein. Trotzdem werde ich versuchen das alltägliche Leben zu beschreiben.
Wie ihr wisst ist Mittwoch mein sogenannter Day-off, an dem ich meistens nach Dharwad fahre. Wenn ich nach Dharwad fahre, nehme ich meistens den zehn Uhr Bus von Kalkeri nach Dharwad. Da die Musikschule etwas abgelegen des Dorfes liegt, muss ich früher den Marsch zur Dorfmitte antreten. Kalkeri hat keine asphaltierten Straßen, abgesehen von den Straßen rund um den Dorfplatz. Auf dem Weg zum Dorf laufe ich an Reisfeldern und Palmen vorbei und ein kleines Stück durch den Dschungel, bis die ersten kleinen Häuser in Sicht kommen. Der Weg ist vor Allem in der Monsunzeit sehr schlammig und durchsetzt mit Kuhmist. Jedoch wenn einmal die Sonne scheint, dann wird es schnell sehr warm und der Schlamm trocknet sehr schnell. Beim Betreten des Dorfes läuft man meist streunenden Hunden und vielen Kindern über den Weg. Oft knurren die Hunde einen an, doch bisher haben sie noch nicht versucht mich zu beißen. Die Kinder spielen meist und die Erwachsenen gehen ihrer Arbeit nach. Das Spiel, was hier von den Kindern gespielt wird ist eine Art Fangspiel im Team. Viel mehr wird hier auch nicht gespielt, da einfach das Geld fehlt.
Es scheint noch auf dem Land eine gewisse Rollenverteilung zu geben. Wenn ich das Dorf durchlaufe, sehe ich sehr oft die Frauen draußen Wäsche waschen und die Männer auf den Feldern arbeiten. An den sehr kleinen Bauernhütten grenzt meistens direkt der Stall an, wo überwiegend Kühe und Hühner leben. Beim Laufen wird man des Öfteren begeistert von den Kindern angesprochen und (vermutlich wegen der weißen Haut) an den Armen und Händen berührt. Von den Erwachsenen wird man stets gegrüßt. Die Häuser sind bunt gestrichen bzw. bemalt, was in der Natur jedoch recht harmonisch wirkt. Das kaum vorhandene Englisch der Bewohner ist für mich meistens schwer verständlich und ich muss ein oder zweimal nachfragen, was ich gefragt wurde. In der Luft liegt ein Geruch von Kuhmist, Stroh, Essen bzw. Gewürzen und Blumen. In dem Dorf selbst gibt es: Eine Bushaltestelle, die angeblich erst seit der Eröffnung der Schule angefahren wird, einen Schneider, der nur dann wenn er will öffnet und schneidert, ein Postoffice, das wie der Schneider nur dann öffnet, wenn es Lust dazu hat, sowie zwei bis drei kleine Läden, die allesamt an dem Dorfplatz liegen, wo es eine kleine Bühne gibt, die an Festtagen genutzt wird. Die Läden verkaufen Dinge wie Bananen, Sweets oder Limonade.
Der Bus, der mich nach Dharwad bringt, hält direkt auf dem kleinen Dorfplatz. Auf der Linie fahren zwei Busse. Beide sind sehr rustikal, dennoch erkennt man nach einiger Zeit einen wichtigen Unterschied: Bei dem „guten“ Bus funktionieren die Stoßdämpfer, bei dem „Schlechten“ nicht. Wenn man nun in den Bus einsteigt, muss man vor Allem in Dharwad um einen Sitzplatz kämpfen. Es ist ganz normal, dass man noch, während der Bus fährt, in ihn einsteigt. Man kann sich auch einen oder mehrere Plätze reservieren, indem man, während der Bus einparkt, ein Kleidungsstück oder eine Tasche durch das Fenster des Busses auf die Sitzreihe schleudert. Logischerweise wartet man auch nicht darauf, dass zuerst die Menschen im Bus aussteigen. Es entsteht also ein großes Chaos. Es ist sehr darauf zu achten, wo man im Bus sitzt. Die besten Plätze sind in der Mitte zu finden, da man Vorne und besonders Hinten öfters hoch katapultiert wird, wenn der Bus überwiegend ungebremst über einen Buckel fährt, der eigentlich dazu gedacht ist, die Geschwindigkeit zu verringern. Aber nicht nur aufgrund der Buckel lohnt es sich in dem „guten“ Bus möglichst in der Mitte zu sitzen, sondern auch, da sich die Straßen nach Dharwad allgemein in einem sehr schlechten Zustand befinden. Sehr große Schlaglöcher und überwiegend nichtasphaltierte Straßen lassen einen kräftig durchschütteln. Im Bus selbst arbeiten zwei Leute. Der Busfahrer und der Fahrkartenverkäufer. Kurz nachdem der Bus losgefahren ist, beginnt der Fahrkartenverkäufer damit was er am besten kann: Richtig, Fahrkarten verkaufen! Er geht systematisch vor. Es wird von Vorne nach Hinten verkauft. Eine Fahrkarte kostet zwölf Rupien, was umgerechnet ca. zwanzig Cent sind. Es ist gut, wenn man die zwölf Rupien passend hat, da der Fahrkartenverkäufer oft nicht in der Lage ist das Geld zu wechseln, sodass man das Wechselgeld erst später während der Busfahrt zurück bekommt. Manchmal vergisst der Kontrolleur das auch gerne mal.
Der Busfahrt ist soweit nicht mehr viel hinzuzufügen, außer das sie auf Dauer sehr einschläfernd ist. Obwohl man so durchgeschüttelt wird! Man macht also öfters die Augen zu, wenn nicht gerade kleine Schulkinder neben einen sitzen, die nicht aufhören können zu fragen, wo man denn her komme. Ansonsten blickt man aus dem Fenster und sieht die wunderschöne Landschaft aus Reis-, Kokosnuss- und Bananenplantagen, durchsetzt von sanft geschwungenen Hügeln und Palmen. Manchmal passiert man auch einen blau glitzernden Fluss oder See, in dem die Kühe baden und manche Bewohner, der umliegenden Dörfer, ihre Kleider waschen.
Dharwad hat zwei Busbahnhöfe. „The New Busstation“ und „The Old Busstation“. Letzterer wird stets von dem Bus aus Kalkeri angefahren. Von dort aus sind Markt und die, für uns Freiwilligen, interessantesten Geschäfte erreichbar. Der Busbahnhof ist immer überfüllt mit Bussen. Es ist laut und sehr dreckig. Überall streunen Hunde herum und die Gebäude sind zwar aus Stein erbaut, dennoch machen sie eher einen rustikalen Eindruck. Des Öfteren wird man auch von umherlaufenden Händlern angesprochen, die versuchen ihre minderwertige Wahre zu verkaufen. Was nicht vergessen werden darf, sind die vielen bettelnden kleinen Kinder, die man von sich weisen muss.
Auf dem Markt kaufe ich überwiegend Früchte ein, die allesamt einen super Snack darstellen. Was man hier auf jeden Fall lernt, ist das Verhandeln. Alles andere kaufe ich in einem Supermarkt, in dem eigentlich nur die wohlhabenden Leute einkaufen können, bis auf Nutella, was ich in einem Laden kaufe, der auch viele andere westliche Produkte verkauft. Öfters esse ich dann auch in Dharwad in einem der Hotels zu Mittag.
So viel erstmal zu meinem Day-off.
Es tut mir Leid, dass dieser Eintrag, für meine Verhältnisse, recht spät kommt. Aber da ich ungefähr eine Woche lang krank war, musste ich eine kleine Schreibpause einlegen. Für Interessierte: Ich hatte Halsschmerzen und etwas Fieber.
Die Regenzeit scheint nun zu Ende zu sein. Wir haben seit über zwei Wochen überwiegend einen blauen Himmel und viel Sonne. In der Nacht wird es kalt, da es meist wolkenklar ist. Man wird aber mit einem berauschenden Sternenhimmel entschädigt. Tagsüber klettern die Temperatur schon mal auf 30°C, zumindest in der Sonne. Diese Jahreszeit wird „Coldseason“ genannt und soll die schönste aller Jahreszeiten sein, da es noch relativ kühl ist und das Wetter sehr schön ist.
In ungefähr zwei Wochen beginnen hier die Ferien, die vier Wochen andauern. Ich werde mir zwei Wochen Urlaub nehmen und in dieser Zeit nach Gokarn, Goa und Hampi reisen. Gokarn und Goa sollen mit anderen Ländern die schönsten Strände der Welt haben. Hampi hingegen ist wegen seiner riesigen Tempelanlagen und Paläste, die in der Zeit erbaut wurden, als Hampi noch die Hauptstadt eines sehr wohlhabenden indischen Reiches war. Ich werde zusammen mit Freunden diese Reise antreten, darunter auch Paul und Frederik.
Ich habe in der Zwischenzeit begonnen Hindi zu lernen. Da die Sprache ein anderes Alphabet besitzt, ist aller Anfang schwer. Es macht aber großen Spaß. Hindi werde ich nicht nur alleine lernen, sondern auch mit den anderen Freiwilligen in einer Klasse, die von dem Engländer Woods unterrichtet wird, der hier schon über viele Jahre lebt und auch hier in der Musikschule lebt. Neben Hindi werde ich auch ein neues Instrument lernen: Sitar. An meinen freien Zeiten werde ich nach Dharwad fahren und dort von einem berühmten Sitarspieler unterrichtet werden. Dieser soll auch schon Konzerte in Deutschland, Frankreich, Spanien und in den USA gegeben haben. Seinen Namen habe ich noch nie zuvor gehört und kann mich jetzt auch nicht an ihn erinnern.
Ich hoffe, euch daheim geht es gut. Nebenbei wünsche ich euch wunderschöne Herbsttage, was mir allerdings schwer fällt zu realisieren, da das Wetter hier jeden Gedanken an Herbst verdrängt.
Viele Grüße aus Indien!

Julius

PS: Bilder folgen mal wieder.

Samstag, 10. September 2011

Indisches Kino und nochmal ein bisschen Ganesh

Die Feiertage rund um Ganesh liegen nun hinter mir und der Alltag ist an ihre Stelle getreten. In den Klassen hat sich soweit nicht viel verändert. Es ist meistens noch genauso laut, wie am Anfang. Dennoch beklage ich mich nicht, denn ich weiß, dass sich das alles mit der Zeit ergeben wird. Das war bisher immer so. Hab heute zum ersten Mal Hausaufgaben nachgeschaut, dabei ist mir eines klar geworden: Ich werde zukünftig weniger aufgeben! Denn alles was ich aufgebe muss ich auch kontrollieren und berichtigen. Wenn ich weniger aufgebe, freuen sich die Kinder und ich habe mehr Zeit zum Lesen, was bei Regen echt herrlich ist. Nun kann man natürlich sagen, dass das etwas egoistisch ist, da bekanntlich die Kinder in der Schule etwas lernen sollen. Dennoch ist mir hier schon anfangs etwas klar geworden: Ich darf meine Erwartungen nicht zu hoch stellen. Die Kinder, die beispielsweise in der dritten Klasse sind, sind in einem Alter, in dem wir gerade mal erst eingeschult werden. Dort mit Satzbau und „son Zeug“ anzufangen, macht nicht viel Sinn, zumal ich gar nicht weiß, in welchem Alter ich das überhaupt gelernt habe.
Nachdem ich vergangene Woche so begeistert aus Dharwad zurückgekehrt war, wo ich den Start des Ganesh Festes miterlebt hatte, gab das den Anreiz dazu, dass Paul und Frederik so etwas auch erleben wollten. Am Sonntag waren wir ins Kino eingeladen worden, sodass wir das damit verbanden.
Indisches Kino….nun, wo fängt man da an? Hätte vor dem Eingang des Kinos nicht ein großes Plakat des Films „Bodyguard“ gehangen, so hätte ich auf den ersten Blick geglaubt, es sei der Eingang in eine Tiefgarage. Rechts neben dem Haupteingang, dessen Pforten ein herauf- und herunter fahrbares Gitter bildeten, wie es üblicherweise vor Tiefgaragen zu finden ist, stand ein winziges Kassenhäuschen. Dort wurden Karten verkauft, die aus ganz normalem Papier bestanden und an einer Seite leicht rosa angefärbt waren. An der Seite des Gitters am Haupteingang befand sich eine kleine Tür an der ein Mann stand, der die Karten kontrollierte. Nun, der Unterschied zu einer Tiefgarage bestand darin, dass es nicht bergab ging. Hinter dem Gitter führte rechts eine Treppe hoch und geradeaus befanden sich zwei Türen. Da es in diesem Kino nur einen Saal gibt, führten die Türen zum unteren Teil des Saales und rechts die Treppe hoch ging es zum sog. Balkon, dem oberen Teil des Saales. Da es nur einen Saal gibt, könnt ihr euch auch denken welchen Film wir gesehen haben. Richtig! „Bodyguard“. Bodyguard stellte sich als einen Bollywood Mix aus Actionfilm, Schnulze und Komödie heraus, wobei Letzteres eher vom eingefleischten Hollywood Zuschauer empfunden wurde. Die Actionszenen waren, möglicherweise bewusst, überzogen dargestellt worden, um den prollohaften Hauptdarsteller gut in Szene zu setzten, dennoch wirkten diese Szenen eher lachhaft. Die romantischen Szenen wurden so kitschig dargestellt, dass man sich halb blind erst einmal die Augen reiben musste, um für den Rest des Films sein Augenlicht zu behalten. Das einzige, was wirklich gut war, war die Musik, da diese immer absolut zu der jeweiligen Szene gepasst hat. Warum aber werde ich nun meinen ersten indischen Kinobesuch nicht vergessen? Mir ist an diesem Nachmittag eines klar geworden: Die Zuschauer machen das Kino zum Kino, so wie ein Fußballnachmittag von den Fußballfans abhängt. Die Atmosphäre im Kino war so viel anders zum „normalen“ Kino. Bei der ersten Szene des Hauptdarstellers brach das gesamte Kino in Jubel aus, wie bei einem Konzert, wenn die Band im Dunkeln der Bühne das erste Lied anstimmt. Ebenso die, für Bollywood Filme, typischen Tanz- und Gesangszenen wurden bejubelt. Während des Films, der auf Kannada war, wurden den Darstellern Aufforderungen oder andere Dinge zu gebrüllt. Diese gesamte Atomsphäre trug dazu bei, dass ich den Film doch auf irgendeine Weise mochte. Man kann also sagen, dass es definitiv ein Erlebnis war.

Jetzt war da ja noch die Sache mit Ganesh. Nach dem Kino machten wir, wie immer wenn wir in Dharwad sind, ein paar essenstechnische Besorgungen. In diesem Zusammenhang muss ich erwähnen, dass es mir gesundheitlich, schon den gesamten Tag über, alles andere als gut ging. Magendarmprobleme plagten mich schon seitdem wir nach Dharwad aufgebrochen waren. Nach dem Einkaufen trafen wir uns mit Yashwad, einem guten Bekannten aus der Schule, der im Büro arbeitet. Wir besuchten Orte, an denen Abbilder des/der Ganesh standen, die von den umliegenden Bewohnern faszinierend geschmückt worden waren. Dort bekam man den typischen (mega dekorativen) Punkt auf die Stirn und immer etwas Süßes. Der faszinierendste Ort war eine große Statue, wo man hineingehen und ein kleines Theaterstück über den Gott Ganesh (der für Intelligenz steht) betrachten konnte. Drinnen wurden die Frauen von den Männern getrennt und es war alles sehr eng, sodass man stark zusammengedrängt dastand. Ich stand hinter Frederik und Paul an einer der Barrikaden, die die Männer von den Frauen trennten. Es war sehr stickig und warm. Während des Theaterstücks kämpfte ich mit meinem Darm, sodass ich nicht viel davon mitbekam. Gegen Ende der Vorstellung fing mein Körper in der Darmgegend an weh zu tun. Mir wurde schwindelig und plötzlich wurde alles weiß und ein rauschen erfüllte meine Ohren. Ich spürte, dass ich unkontrolliert fiel und hart auf den Boden aufprallte. Dann war alles schwarz. Als ich wieder zu mir kam lag ich seitwärts auf dem Boden. Die Vorstellung war scheinbar vorbei und ein Teil der Leute war bereits draußen, bis auf eine Gruppen von Indern die mich immer wieder ansprachen: “What happend?“ Ich war in diesem Moment nicht fähig Englisch zu sprechen. Das einzige was mir einfiel war: „I don’t know.“ Man stützte mich beim hinauslaufen und brachte mich zu Paul, Yashwad und Frederik, die von dem gesamten Vorfall nichts mitbekommen hatte, da diese vor mir standen und mich beim hinauslaufen nicht gesehen hatten, da ich ja am Boden lag. Sie dachten ich sei bereits draußen. Sie brachten mich zu einem Imbissstand, wo in Teig frittierte Peperoni oder Ähnliches verkauft wird. Dort konnte ich mich setzen und erstmal Wasser trinken. Als es mir schließlich etwas besser ging, gingen wir in ein Restaurant, wo ich zu allererst ein Badezimmer besuchte und mich danach mit Tee und einem Gebäck stärkte. Mir ist noch nie schwarz vor den Augen geworden, doch in diesem provisorischen Theater geschah es und ich war alleine weit weg von zu Hause. Letztendlich kann ich sagen, dass dies, so komisch das auch klingen mag, eine besondere Erfahrung war, die ich nun nicht mehr missen möchte. Ich hatte keine Angst, obwohl ich auf mich allein gestellt war.
Den Rest des Tages versuchten wir noch vergeblich Knaller zu kaufen, da am Freitag Ganesh verabschiedet wird. Die Knaller bekamen wir einen Tag später. Zum Ausprobieren. Krasse Teile! Dagegen sind die Knaller, die in Deutschland verkauft werden, ein Witz. Jedoch sind die hier auch viel unberechenbarer und gefährlicher. Was ist noch erwähnenswert? Am Montag fand, völlig überraschend, der „Teachers Day“ statt. Dort wurden die Lehrer und Betreuer von den Schülern geehrt. Wir alle bekamen Umschläge mit einem Bonbon und einem selbstgemalten Bild. Außerdem wurde für uns gesungen und Gedichte wurden vorgetragen. Am Ende spielten wir noch, vor der gesamten Schule, „Reise nach Jerusalem“.
Heute ist Mittwoch der 07.09.11, mein sogenannter „Day-off“, und das Internet funktioniert mal wieder nicht. Deshalb kommt dieser Eintrag mal wieder mit Verspätung. Viele Grüße an alle, die meinen Blog verfolgen. Ich habe von meinen Eltern gehört, dass das doch so Einige sein sollen.

Julius

PS: Heute ist Samstag. Bilder und der nächste Eintrag folgen.

Dienstag, 6. September 2011

Zeit der Eingewöhnung und die Feiertage des Ganesh

Jeder Tag ist grün und grau. Grün der Regenwald, grau der Himmel. Grau-grün trifft die Beschreibung eigentlich schon ziemlich genau. Zurzeit herrscht hier die intensivste Monsunzeit. Es ist verhältnismäßig kühl und jeder Tag wird vom platschen der Regentropfen, die vom Rand des Daches fallen, begleitet. Manchmal wird es auch im Haus nass, immer dann, wenn die Affen über das Dach preschen und dabei die Dachplatten verschieben. Der Boden ist überall glatt und matschig und letzteres ist ein nerviges Problem. Wer weiße Sachen zur Monsunzeit mitnimmt, muss damit rechnen, dass diese niemals mehr richtig sauber werden. Der Matsch ist widerspenstig und ist überall. Die Füße sind stets voll davon. Zum Glück trocknet er, im Gegensatz zu allem anderen, sehr schnell. Die Luft ist sehr feucht und alles ist klamm. Man muss alle Kleidungsstücke öfters tragen und Dinge wie Rucksäcke oder ähnliches überprüfen, dass diese nicht anfangen zu schimmeln. Man hängt alles am besten an einem Nagel auf, damit so wenig wie möglich Kontakt zu feuchten Boden hat. In der Monsunzeit entwickeln sich die Moskitos prächtig und man muss sich an das ständige Juckgefühl (besonders an den Füßen) einfach gewöhnen. Ebenso kann es vorkommen, dass man des Nachts von Fröschen oder anderem Getier an seiner Schlafstätte besucht wird. An diesem Punkt angekommen, muss ich meine Liebe zu meinem Moskitonetz kundtun, welches mir einen ungestörten Schlaf beschert, der mir sehr am Herzen liegt. Wie ihr seht, bin ich auf gutem Wege mich hier einzugewöhnen….
Die Tage scheinen so langsam immer schneller zu verstreichen. Ich sitze nun in meinem Zimmer auf der Chetai (einem geflochtenen, robusten Teppich, der an eine Strandmatte erinnert) und schreibe diesen Eintrag vor, da wir seit Tagen kein Internet mehr haben. Heute haben wir den 02-09-2011, um hier mal ein Datum einzubringen. Ich glaube, dass ich mich so langsam in den Alltag einfinde. Morgens wird zu unterschiedlich Zeiten in der Woche aufgestanden. Wenn ich mit „Plate Check“ an der Reihe bin, geht der Tag für mich um 7:45 Uhr los. Morgens beim sog. „Plate Check“ werden die Kinder beim Händewaschen beaufsichtigt und nach dem Essen werden die Teller auf ihre Sauberkeit überprüft, da jedes Kind seinen benutzten Teller nach dem Essen selber waschen muss. Ansonsten wird erst zum Meeting aufgestanden, das zwischen 8:30 Uhr und 8:45 stattfindet. Momentan ist Jay (unsere Projektleiterin) für zweieinhalb Wochen in Frankreich, was bedeutet, dass das Meeting ausfällt und ich genüsslich bis 9:30 Uhr schlafen kann. Morgens lege ich meistens ein zweites Frühstück ein, mit Nutella, Honig, Erdnussbutter und Toast. Trotz dieser Mahlzeit passt die engste Lasche meines Gürtels nicht mehr richtig, was allerdings nicht weiter besorgniserregend ist, da die vorletzte Lasche meines Gürtels auch in Deutschland nie richtig gepasst hat. Das Essen hier war anfangs etwas gewöhnungsbedürftigt, da es zu jeder Mahlzeit Reis und eine gewisse Schärfe gab. Dennoch habe ich mich soweit an das Essen gewöhnt und es wird auch ständig von Seiten der Schule, mit ihren beschränkten Möglichkeiten, versucht, mit so viel Abwechslung wie möglich zu kochen. Soweit geht es mir also gesundheitlich gut. Nach dem Frühstück geht die „Extraclass“ los. „Extraclass“ bedeutet, dass dort die schwachen Schüler Nachhilfe bekommen. In einer solchen Klasse sind maximal drei Schüler, was gewährleistet, dass man sich intensiv um diese Schüler kümmern kann. Die Extraclass beginnt um 10:30 Uhr.
Vorher haben die Kinder noch Musikunterricht, für den sie teilweise schon um 4:30am aufstehen müssen. Die Klassen die ich dann am Tag selbst unterrichte sind zu unterschiedlichen Zeiten. Die späteste Klasse habe ich freitags um 16:00 Uhr. Eine Schulstunde dauert hier vierzig Minuten. Später bin ich dann noch in der „Bücherei“, einem zweiräumigen Haus mit zwei Bücherregalen und einer Spielzeugkiste, wobei letztere von den Kindern begehrter ist. Nach einer guten Stunde habe ich dann meistens nur noch den Plate Check gegen 19:30 Uhr zu erledigen. Ich habe nicht immer die dritte und fünfte Klasse an einem Tag zu unterrichten, was bedeutet, dass ich zwischen den Stunden relativ viel Freizeit habe. Zudem muss man den Mittwoch und Sonntag aus dem alltäglichen Ablauf herausnehmen, da der Mittwoch mein wöchentlicher freier Tag ist und der Sonntag für Lehrer generell überwiegend frei ist.
Gestern und Vorgestern hatte ich frei, da das Ganesh Fest stattfand. Ganesh ist in Indien einer der „prominentesten“ Götter. Er sieht aus, wie eine Mischung aus Elefant und Frau. Gestern war der Beginn des Festes, was sich über mehrere Tage hinzieht. Morgens hatten wir ein kleines Fest in der Schule. Zu Beginn werden die Götter Statuen von der Werkstatt, wo sie gefertigt werden, abgeholt. Das scheint eine gewisse Tradition zu sein. Zwei Tage vor dem Start des Festes richteten Schüler in einem Klassenraum alles für die Statue her. Es wurde alles sehr pompös geschmückt und verziert. Beim Abholen der Statue bildeten alle Beteiligten eine Art Marsch, der mit Trommeln begleitet wurde. Es wurde getanzt und gesungen und die gesamte Zeremonie dauerte ca. zweieinhalb bis drei Stunden. Die Statue in der Schule war recht klein. Ich hatte gehört, dass es in den großen Städten noch bombastischere Zeremonien geben solle und da ich eh noch ein paar Lebensmittel kaufen wollte, bin ich alleine nach Dharwad gefahren. In DharwadNutella zu kaufen gab, war das einzige was mich im Nachhinein gestört hat.
Bald habe ich Geburtstag. Ich freue mich schon auf die Atmosphäre hier….

Bis bald !

Julius

PS: Endlich wieder Internet !! Es hat sich in der Zwischenzeit wieder Einiges ereignet. Der nächste Eintrag ist in Arbeit.